Wir wissen trotz der ungeheuren Medienflut wenig von der globalen Welt, in der wir leben. Wir schmeißen lediglich mit Meinungs-Bananen um uns.
Würden sie den Schimpansen-Test bestehen? Wenn es nach Hans Rosling geht, dem derzeit kultigsten und verrücktesten Professor des Universums, sind wir alle Primaten ohne Ahnung was jenseits des nächsten Baumes passiert. Wir wissen trotz – oder gerade wegen – der ungeheuren Medienflut wenig von der globalen Welt, in der wir leben. Wir schmeißen lediglich mit Meinungs-Bananen um uns. Und halten sie für Wahrheiten. Um diese steile These zu beweisen, hat Rosling den GLOBAL IGNORANCE TEST entwickelt.
Rosling ist Gesundheits- und Statistikprofessor in Stockholm. Seit Jahrzehnten arbeitet er mit seinem Big-Data-System GAPMINDER daran, unser Weltwissen zu verbessern. Wie verlaufen die großen Trends der Globalisierung? Wie hoch liegt die durchschnittliche planetare Lebenserwartung ? Vierzig, fünfzig, sechzig Jahre? Nein, 71 Jahre lebt ein Mensch durchschnittlich 2014 – ein Resultat gewaltiger Gesundheitsverbesserungen in den meisten Ländern!
Wie hat sich die globale Armut verändert?
A) Sie hat sich verdoppelt,
B) halbiert,
C) sie ist gleichgeblieben?
Sie hat sich in 20 Jahren halbiert! Werden heute weniger oder mehr Menschen durch Naturkatastrophen getötet als 1990? Wie viele Menschen können lesen und schreiben, wenn man von Somalia bis Schweden einen Mittelwert bildet? 80 Prozent!
Was, das glauben Sie nicht? Eben. Der Schimpanse in uns schaltet das Fernsehen ein/ liest die Zeitung/ hört die Meinung der anderen – und brabbelt das Mantra unserer Betroffenheitskultur nach: Die Welt geht den Bach herunter! In der Zeit wurde dieses Negativitätssyndrom am Beispiel der These von der „großen Familien- und Jugendkrise“ wunderbar analysiert: Den Familien und Kindern geht es in Deutschland tendenziell immer besser, während der Bücher- Talkshow- Ratgeber-Bocksgesang zum Thema „Neurotische, kranke Tyrannenjugend und heillos kaputte Familien“ unentwegt anschwillt.
Unsere Haltung verändert die Welt
Warum ist es so wichtig, eine differenzierte Sicht auf die großen Trends zu haben? 37 Prozent der Deutschen glauben, dass, wenn man Kinderleben in Afrika rettet, dies nur die Bevölkerungsexplosion vorantreibt. Was aber, wenn es gar keine „Bevölkerungsexplosion“ gäbe? Wenn sich, wie Rosling in seinen genialen Videoclips nachweist, die Geburtenrate kontinuierlich nach unten bewegt, auch in Afrika? Und wenn das Retten von Säuglingen genau dazu beiträgt, dass Frauen in armen Ländern weniger Kinder bekommen? Dann erweist sich die Überzeugung der 37 Prozent als das, was sie ist: eine reaktionäre Haltung, in deren Schatten übelste Rassismen gedeihen können.
Es geht nicht darum, die Welt blau und rosa zu zeichnen. Es geht darum zu verstehen, was wir – jeder Einzelne – für die Zukunft tun können. Unsere Haltungen verändern die Welt auf dem Weg der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Wenn wir das Positive ignorieren, können wir nicht lernen. Davon profitieren dann die wahren Apokalyptiker, die im Namen des Dschihad oder der russischen Heilig-Kultur oder des Euro-Untergangs in den Ring der Weltdeutungen steigen. Wer die Hoffnung preisgibt, macht uns alle zum Affen.
Erschienen am 01. Oktober 2014 in der Berliner Zeitung