Wie ein mentaler Trend im Kontext des Hass-Populismus zum Schlüssel der Zukunft wird
Was haben der Hass-Populismus und die neue Sehnsucht nach Gelassenheit und Spiritualität miteinander zu tun? Der rechte Populismus verschiebt die Koordinaten der kulturellen Wertesysteme in Richtung auf eine Überbetonung negativer Gefühle, und das macht uns Angst vor der Zukunft. Aber es gibt keinen Wandel ohne eine Gegenbewegung. Unter dem Motto der Achtsamkeit entwickelt sich derzeit eine psychologisch-mentale Antwort auf die Hypererregbarkeit der Gefühle, wie sie sich im Hass-Populismus und Neonationalismus ausdrückt.
Copyright: Gaute Bruvik / www.nordnorge.com / Tromso
Warum haben die Bewohner von Tromsø so gute Laune, wo sie doch mindestens drei Monate im Jahr im Finsteren leben müssen? Müssten die Tromsøer nicht in großer Zahl der „Dunkelkrankheit” zum Opfer fallen – jener Depression, die Menschen befällt, wenn das Licht fehlt?
Die 70.000-Einwohner Stadt Tromsø liegt 300 Kilometer nördlich des Polarkreises in Norwegen. Kari Leibowitz, eine junge Stanford-Psychologin, zog im Jahr 2015 in diese extrem nördliche Stadt und untersuchte den „Winterblues”. Dabei nutzte sie Erkenntnisse der Psychologie-Professorin Alia Crum, die sich mit den inneren Ein-stellungen von Menschen, den „mindsets“, beschäftigt. Mindsets sind Erwartungen, Bilder, Narrative, mit denen Menschen ihre Umwelt wahrnehmen und strukturieren.
Mit Hilfe von Alia Crums „stress mindset measure“, einem Fragebogen zur Bestimmung von Stresspotentialen, entwickelte Leibowitz eine „Wie hältst du es mit dem Winter?”-Skala. Man konnte wählen, z.B.: „Es gibt viele Aspekte am Winter, an denen man sich erfreuen kann“ oder „Ich finde die Wintermonate dunkel und deprimierend und versuche, so viel wie möglich wegzufahren.”
Erstaunlicherweise sahen viele Tromsø-Bewohner die Dunkelheit nicht als „Problem” an, sondern als etwas Besonderes im Jahr, auf das man sich freuen konnte. Im Winter legt man in Tromsø viele Strecken auf Skiern zurück, schaut gemeinsam Filme und rückt sozial zusammen. Und feiert das Leben. Das Feuer in all seinen Varianten, von Kerzen bis Fackeln bis Kino, spielt eine besondere Rolle. „Als der November kam, waren Cafés und Restaurants, die heimischen Wohnzimmer und sogar der Arbeitsplatz von Kerzen erleuchtet. Im Laufe der folgenden Monate konnte ich mit eigenen, staunenden Augen sehen, dass die Polarnacht keineswegs absolute Dunkelheit bedeutete, sondern vielmehr eine Zeit voller bunter Farben und weichem, indirektem Licht war.”, schreibt Leibowitz.
Die Bewohner von Tromsø zeigen uns, wie wichtig unsere inneren Einstellungen für das Leben und für die Zukunft sind. Die Tromsøer können dem Winter seine besten Seiten abgewinnen, weil sie ihren MIND, – ihre inneren Erwartungs-Gefühle – in BEJAHUNG gebracht haben. Diese Bejahung kann jeder Dunkelheit widerstehen. Und sie ist der Schlüssel zur Achtsamkeit, jener Substanz, aus der sich die Zukunft formt.
www.zeit.de/zeit-wissen/2016/s1/polarnacht-tromso-winter-depression/seite-3
Wie der Geist die Welt formt
Achtsamkeit. Dieses ominöse, fast schüchterne Wort entwickelt sich in den letzten Jahren zu einem kulturellen Schlüsselbegriff. Es findet sich überall: In den Katalogen der Reiseanbieter, in tausenden von Lebens-Ratgebern, in Modezeitschriften, Luxuskatalogen, sogar in Firmenberichten finden sich Achtsamkeits-Formeln, Achtsamkeits-Tipps, Achtsamkeits-Diäten. Erfolgreiche Zeitschriften wie FLOW widmen sich einer neuen Unmittelbarkeit der Gefühle und der Handlungen im Kleinen. Google richtet eine Achtsamkeits-Konferenz aus, und in den ersten Unternehmen tauchen plötzlich „Achtsamkeits-Beauftragte” auf. Selbst in der neuen Gesundheits-App von Apple gibt es einen großen Mindfulness-Button.
Zunächst klingt Achtsamkeit nach wabernder Esoterik. Oder man assoziiert den Begriff mit einer Ermahnung: „Gib acht!” rufen Eltern, wenn man vom Bordstein auf die Straße hüpft. Vorsichtig! Keine Risiken eingehen! Vernünftig bleiben! Wir sollen mehr aufpassen!
Aber darum geht es nicht – oder nur am Rande. Um die tiefere Bedeutung des Achtsamkeits-Begriffs zu verstehen, müssen wir ein Vierteljahrhundert zurückgehen. Damals „erfand” die Kognitionspsychologin Ellen Langer den Begriff „Mindfulness”. Und machte ihn in einem bis heute aktuellen Welt-Bestseller populär.
Im Buch „Mindfulness” finden wir weder Tipps zum Abnehmen durch Achtsamkeits-Übungen noch esoterische Beschwörungen. Ellen Langers Arbeit, ihre zahlreichen Experimente, handeln von einer fundamental psychologischen Grundfrage: Wie formen Erwartungen, Konzeptionen, mentale „frames” unser Leben? Wie steuern Welt- und Selbst-Bilder unser Lebensglück?
Im Jahre 2007 inszenierte Ellen Langer ein spektakuläres Experiment mit Zimmer-mädchen in einem Hotel. Sie erzählte einer Gruppe von Reinigungsfrauen, dass die Arbeit, die sie jeden Tag vollbrachten, in Wahrheit ein wertvoller Fitness-Sport sei, der sie fit und jung machen würde. Einer anderen Gruppe wurde die Aufopferung und Schwere ihrer Arbeit bewusst gemacht. Nach vier Wochen hatten die Teilnehmer¬innen, deren Arbeit zum produktiven Sport erklärt worden war, mehrere Kilo abge¬nommen, sie führten sich weit motivierter und positiver als die Kontrollgruppe, der es weiterhin schlecht oder schlechter ging.
Nun gut, könnte man sagen, hier wird mit Motivationselementen gespielt, die man sehr leicht für Ausbeutungszwecke missbrauchen kann. Aber berühmt wurde auch Ellen Langers „Counterclockwise”-Experiment. Sie lud gebrechliche 80jährige Männer aus Altersheimen in ein Schloss ein, in dem sie deren Jugendzeit simulierte – mit der entsprechenden Musik, den Möbeln, dem Geruch der 50er Jahre. Innerhalb weniger Tage VERJÜNGTEN die Alten ihren körperlichen und geistigen Zustand um bis zu 15 Jahre.
Es sind die Konzepte – und nicht die Erlebnisse oder „Wirklichkeiten” – die unsere Wahrnehmungen steuern. Diese Erkenntnis hat die Macht, unser Menschenbild zu verändern. Sie erklärt, warum ein Donald Trump an die Macht kommen konnte. Warum so viele Menschen von Ängsten, Ressentiments und Verschwörungstheorien getrieben sind. Warum wir an Problemen scheitern, obwohl die Lösungen auf der Hand liegen. „Achtsamkeit ist die Erkenntnis, dass nichts so ist, wie es scheint, sondern immer so, wie wir es beschreiben”: Diese Botschaft macht uns auf neue Weise verantwortlich für unser Schicksal. Und frei für die Zukunft. Sie gibt uns unsere Verantwortung, aber auch unsere Wirkmächtigkeit zurück, die im rasenden Medienraum verlorengegangen ist.
Erste Achtsamkeits-Regel:
Unsere inneren Haltungen und Einstellungen sind wichtiger für die Zukunft als „die Politik” oder „die Umstände” oder „die Fremden”.
Achtsamkeit als mediale Kompetenz
Die radikalste Veränderung, die unser Leben in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, ist zweifelsohne die multi-mediale Revolution. Wir sind in eine hypervernetzte Jetzt-Zeit gebeamt worden, in der alles gleichzeitig und ortlos zu passieren scheint. Jeden Tag werden wir mit Ängsten, Gerüchten, Befürchtungen, Behauptungen, Erregungen konfrontiert. Was fern war, wird nah, und was nah war, wird fern. Diese „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen” überfordert unser Bewusstsein, unseren MIND. Oder zwingt uns, neue Mental- und Kulturtechniken zu entwickeln.
Achtsamkeit handelt von der Frage, wie wir in einer überfüllten, überreizten, über-erregten Kultur eine gesunde Psyche behalten können. Dass Amerika heute den ersten „postfaktischen” Präsidenten hat, lässt sich vielleicht auch dadurch begreifen, das die Total-Medialisierung in den USA früher einsetzte als in Europa. All das Profane, kommerziell Überzeichnete, ins Triviale verzerrte, das aus den Bildschirmen und Leinwänden quillt, bleibt nicht ohne Folgen. Früher oder später bricht das seelische Immunsystem zusammen, das dafür zuständig ist, Wirklichkeit als jenen Handlungs- und Beziehungsraum zu konstruieren, in dem wir handeln und uns selbst entwickeln können…
Die amerikanische Filmemacherin Tiffany Shlain hat in einem wunderbaren Clip über „Brain Power”, die Kraft des Geistes, den Slogan medialer Achtsamkeit formuliert: „Paying attention to what we are paying attention!” Wenn wir das Rauschen der Medien abschalten, wachen plötzlich in einer Wirklichkeit auf, in der die konkreten Beziehungen zwischen den Menschen wieder wichtig werden. Wir gehen zurück ins Lebendige, wenn wir und von der medialen Hysterien ein Stück weit entfernen. Dabei geht es nicht um Abwendung oder Ignoranz, sondern um die Wiedergewinnung der inneren Deutungsmacht.
Zweite Achtsamkeits-Regel:
Wir lernen darauf zu achten, worauf wir achten.
Achtsamkeit als Wiedergewinnung authentischer Kommunikation
Die Netzwerk-Welt versetzt unser Hirn in einen nie gekannten Schwindel, weil plötzlich alles mit allem verlinkt ist. Wir können nicht mehr unterscheiden, ob der Impuls, der uns gerade erreicht, einen informellen oder emotionalen Charakter hat. Ob eine Ver-Bindung, die durch Facebook oder Twitter oder Snapchat aufgebaut wird, Bedeutung hat oder uns nur manipulieren will. Ob einer mit seinem Smartphone redet oder mit uns persönlich, ist nicht mehr klar. Welche BEDEUTUNG Worte haben, lässt sich nur noch aus subtilen Codierungen erahnen. Im Smartphone-Zeitalter „schießen” viele Menschen nur noch Fragmente von Kommunikation in den Datenraum, ohne zu verstehen, was das bewirkt. Weil alle nur noch Wirkung haben wollen, entsteht keine echte Kommunikation mehr, sondern nur noch SIMULATION von Interaktion.
Achtsamkeit bedeutet deshalb, zunächst einmal einen „reset“ herzustellen. Wir entscheiden uns wieder bewusst für intime Situationen und klare Kommunikationen. Wir nehmen das Gegenüber nicht nur wahr, sondern ernst, indem wir seine REAKTIONEN wahrnehmen und darauf reagieren. Wir sind mit allen Sinnen vorhanden, wenn wir kommunizieren, und wenn dies nicht der Fall sein kann, versuchen wir, eine möglichst konsistente Botschaft zu schicken. Simone Weil formulierte „Aufmerksamkeit ist die seltenste und purste Form der Großzügigkeit”. Wir geben diese Großzügigkeit gerne!
Dritte Achtsamkeits-Regel:
Wir entscheiden wir uns für großzügige und wahrhaftige Kommunikation.
Achtsamkeit als Verstehen der Zusammenhänge
Viktor Frankl, der Psychologe und Philosoph, der das Konzentrationslager überlebte, schrieb den entscheidenden Satz der Achtsamkeit schon in der Nachkriegszeit: „Unsere größte Freiheit liegt zwischen einem Reiz und unserer Reaktion darauf.”
Jeden Tag, jede Sekunde, sind wir in der Netzwek-Gesellschaft einer Flut von wider¬sprüchlichen Informationen ausgesetzt. Weil wir diese Komplexität nicht ertragen können, neigen wir zu einfachen Antworten und starken Gefühlen. Wir fallen in „Rückfallpositionen”, in denen unsere archaischen Instinkte das Kommando übernehmen.
Populisten vertreten einfache Lösungen, die nach einfachen kausalen Mustern gestrickt sind. Daraus entwickeln sich oft Verschwörungs-Erzählungen, die nichts anderes sind als der verzweifelte Versuch, Komplexität zu vermeiden. Aber Zorn und Empörung verändern die Dinge wenig. Diätprogramme helfen nicht, weil sie der Überwältigung durch das Angebot an schmackhafter Nahrung nur Zwanghaftigkeit gegenübersetzen. Achtsamkeit bedeutet, dass wir unsere Wünsche und Handlungen im Kontext von SYSTEMEN verstehen – und schließlich in der Lage sind, diese Systeme zu verändern. Wir werden nur vom Zu-Viel-Essen abkommen, wenn wir verstehen, was wir damit kompensieren. Wir werden nur aufhören, zu essen was uns nicht guttut, wenn wir unserem Geschmack wieder zum Kriterium machen. Wenn wir die Abhängigkeit und Gier wieder zum Genuss umformen.
Achtsamkeit bedeutet, dass wir der komplexe(re)n Welt mit angemessenerer DIFFERENZIERUNG begegnen. Dabei geht es um eine tiefere Ebene des Vertrauens: Die Welt in ihrer Wahrheit zu erkennen, heißt auch, ihren Selbst-organisations¬kräften zu vertrauen.
Vierte Achtsamkeits-Regel:
Achtsamkeit ist die Anerkennung der Komplexität des Lebens und der Welt.
Achtsamkeit als Selbstwirksamkeit
In Ellen Langers Mindfulness-Forschungen spielen Phänomene wie „Erlernte Hilflosigkeit” oder „Selbstinduzierte Abhängigkeit” eine große Rolle.
Opferkonstruktionen, die in der populistischen und hypermedialen Welt geradezu gezüchtet werden, haben negative Auswirkungen auf unsere gesamte soziale Umwelt. Jede Minderheit kann sich beliebig als Opfer in Szene setzen und sich als beleidigt und gekränkt darstellen. Andere nutzen den Opferstatus anderer aus und schwingen sich zu hasserfüllten Anwaltschaften auf. Wer sich als ausschließliches Opfer wähnt, glaubt, sich alles herausnehmen zu können. Opferkonstruktionen sind immer die Grundlage von autokratischen, autoritären Systemen, von Kooperations-Verweigerung und Feindbild-Produktionen. Die Selbst-Definition als Opfer, die Langer in zahlreichen Experimenten als eine mächtige psychologische Drift nach¬wies, erzeugt jenen Masochismus, den wir in vielen Beziehungen und Ehen wieder¬finden. Wenn wir uns selbst nicht lieben und akzeptieren, können wir den anderen nur quälen.
Achtsame Menschen entwickeln vor allem Anderen die Fähigkeit der Selbst Betrachtung. Sie gehen den Weg der Selbst-Akzeptanz, ohne dabei narzisstischen Überzeichnungen zu folgen. Sie sehen das Selbstvertrauen als die Ressource von Empathie.
Selbst-Ehrlichkeit:
Achtsame Menschen können es aushalten, sich selbst in ihren Schwächen und Begrenzungen wahrzunehmen. Sie betrachten ihre eigenen Wünsche, Ideale, Ziele, Erwartungen, ebenso distanziert und nüchtern wie die der anderen.
Zurückhaltung:
Wer achtsam ist, muss nicht immer gleich seine Meinung heraus-posaunen. Er weiß, dass in der unendlichen Resonanz der Welt immer neue Echos entstehen, dass viele Gedanken und „Meme” mächtige indirekte Wege finden. Dieses Vertrauen in die Selbstwirksamkeit erzeugt eine Gelassenheit, die Distanz zulässt, ohne herzlos zu sein. Ein achtsamer Geist übt Distanz auch zu seinen eigenen Gefühlen, ohne gefühlslos zu sein. Hierin ähnelt die Achtsamkeit der buddhistischen Haltung. Aber das Ziel ist nicht die Auflösung des Ich. Sondern die Wieder-Entdeckung des Selbst.
Fünfte Achtsamkeits-Regel:
Wir überwinden die Opferkonstruktion, in dem wir Verantwortung für unser reifes Selbst übernehmen.
Achtsamkeit als aufgeklärte Spiritualität
Andy Puddicombe war Sporttrainer, Bergsteiger, Weltreisender und buddhistischer Mönch im Himalaya, bevor er die digitale Meditations-Plattform HEADSPACE gründete. Das Ziel seiner erfolgreichen App ist das tägliche Innehalten, das uns eine neue Dimension der Achtsamkeit helfen kann. In seinem TED-Talk „All it takes is 10 mindful minutes” formulierte Puddicombe:
„Der Geist, unsere nützlichste und kostbarste Quelle, durch den wir jeden einzelnen Moment unseres Lebens wahrnehmen, der Geist, auf den wir uns verlassen, um als Individuen glücklich, zufrieden und emotional stabil zu sein, zugleich aber auch freundlich und bedacht und rücksichtsvoll in unseren Beziehungen zu anderen. Derselbe Geist hilft uns konzentriert, kreativ, spontan zu sein. Aber wir nehmen uns überhaupt keine Zeit, um uns um unserem MIND zu kümmern!”
Die fernöstlichen Traditionen des „Beobachtens und Loslassens” spielen in der Achtsamkeits-Bewegung eine große Rolle. Aber während der Esoteriker an Wunder-Wirkungen glaubt, sieht der Achtsame in der Selbst-Differenzierung neue Freiheiten. Er sieht die Welt als ein Netz von Verbindungen und Beziehungen, deren Teil UND Gestalter er ist. Wenn wir uns nicht IM LEBEN fühlen, werden wir erst traurig, dann depressiv, dann krank. Und dann oft aggressiv, bösartig. Viele Konflikte, Krisen, Spannungen unserer Tage lassen sich so erklären: Wenn Menschen sich ausge¬schlossen, nicht geliebt, unverbunden führen, dann neigen sie zum kollektiven Zorn, zur zerstörerischen Bitterkeit. Sie bilden Kulturen der Gewalt, des Ressentiments, der MINDLESSNESS – passive und aktive Gewalt ist dann das Einzige, in dem man sich selbst SPÜREN kann.
David Foster Wallace, der sensible amerikanische Poet, schrieb in seinem Essay „This is Water” über die Liebe als wahre Auf-Merksamkeit:
“But if you really learn to pay attention, then you will know there are other options. It will actually be within your power to experience a crowded, hot, slow consumer-hell type of situation as not only meaningful, but sacred, in fire with the same force that made the stars: Love, fellowship, the mystical oneness of all things deep down.”
Wallace, David Foster. This Is Water: Some Thoughts
Little, Brown and Company, 2009
Der Dalai Lama wurde vor kurzem gefragt, ob er, als Führer einer wichtigen Weltreligion, nicht bedaure, dass es auf der Welt so wenig Spiritualität und so viel Säkularismus gäbe. Er lächelte und sagte, es wäre sehr froh, dass es in der modernen Welt so viel säkulare Spiritualität gäbe.
Fassen wir noch einmal zusammen:
- Achtsamkeit erzählt vom Willen und Mut, mentale Selbstverantwortung zurückzugewinnen.
- Achtsamkeit bezieht sich auf den „Vitalismus der Seele”, der viele Philosophen und Denker, viele Künstler und Kreative verbindet.
- Achtsamkeit handelt von der Entscheidung, sich Menschen – oder Umwelten -authentisch ZUZUWENDEN, anstatt nur die eigenen Interessen zu betonen.
- Achtsamkeit handelt von der Notwendigkeit selbstreflektorischer Kulturtechniken in einer hochkomplexen Welt. Sie ist deshalb eine FORTSETZUNG des Individualisierungstrends auf einer höheren Ebene.
- Achtsamkeit berührt aber auch spirituelle Dimensionen, wo sie unser Welt-Resonanz-Verhältnis berührt. Sie bringt uns, richtig verstanden, wieder in Berührung zur Welt.
So gesehen ist die Achtsamkeits-Bewegung die heutige Emanzipationsbewegung. Sie emanzipiert und von den Strömen der Negativität, die in Form medialer Hysterien und populistischer Bösartigkeit über uns hereingebrochen sind. Und macht uns mit mentalen Techniken der Selbstwirksamkeit bekannt, in der wir Verantwortung im HIER UND JETZT übernehmen können. Sie markiert einen Weg, der den modernen Individualismus mit den spirituellen Welten verbindet.
“Wenn wir innerlich blind sind, lassen wir zu, dass die Vergangenheit die Gegenwart und die Zukunft dominiert.” – in diesem Satz von Ellen Langer konzentriert sich die Zukunftsdimension des Begriffs. Achtsamkeit gibt uns, auf dem Höhepunkt des Lärms und der Angst, die Zukunft zurück. Wie die Bewohner von Tromsø lernen wir, dass Dunkelheit viel Licht beinhaltet, und dass es an UNS liegt, dieses Licht zu nutzen und zu vermehren.
Hinweis:
Gerne dürfen Sie diesen Text nachdrucken oder zitieren.
Wir bitten um Mitteilung an m.nemeth@zukunftsinstitut.de