Das große Retro

Matthias Horx über den Dauertrend zur nostalgischen Verklärung der Vergangenheit

Oft werde ich gefragt, was der größte Trend von allen ist. Nun ist das eigentlich eine bizarre Frage. Aber in letzter Zeit scheint sich dennoch ein großes, allumfassendes Phänomen als allgegenwärtiger Mainstream durchzusetzen: Der Trend „zurück“.

Schreibmaschine: Jenes Gerät, von dem meine Söhne neulich, als sie es in einem Schaufenster sahen, rätselten, wozu es denn diene, erlebt plötzlich eine Wiedergeburt. Nicht nur bei Geheimdiensten, sondern auch bei Politikern und Stars werden heikle Briefe neuerdings wieder mechanisch hergestellt. Und nach dem Lesen zerrissen. Weil sonst alles morgen im Netz steht.

Handwerkliche Nostalgie: In den Designer-Wohnungen häufen sich Nudelreiben aus dem 18. Jahrhundert und Reiserbesen, mit denen die Putzfrau gar nicht umgehen kann. Hemden bestehen plötzlich aus Leinen, das man noch nicht mal bügeln kann. In den Boutiquen türmen sich handgestrickte Pudelmützen, die so aussehen wie mein kratziges, von Tante Eleonore gestricktes Exemplar von anno 1966.

In den Plattenläden wird die CD langsam wieder von den Vinylplatten abgelöst, und alle Songs aus den Hitparaden klingen wie die von 1960, 1970 oder 1980.

Einrichtung: Neulich war ich im wunderschönen Vitra-Museum in Weil am Rhein. Ein ganzes Stockwerk war voller Gummibäume wie aus den 50er-Jahren. Die Möbel passten dazu und waren keineswegs Antiquitäten. Esgab sogar eine Raucherecke. Ikea hat jetzt seine Nierentische neu aufgelegt.

Design: Viele Autos sehen aus wie ihre Vorgänger von vor einem halben Jahrhundert, und immer mehr Menschen begeistern sich für Oldtimer.

Digitale Radios werden heute gestaltet, als wären sie Volksempfänger. Selbst in den Computerspielen geht es derzeit von den aalglatten utopischen Apokalypsewelten zurück zu Steampunk, einer viktorianischen Technikwelt aus Mechanik und knirschendrostigen Metall-Skalen.

Namen: Auf der Hitparade der Vornamen für Neugeborene in Deutschland sind Namen der Urgroßväter- und Müttergeneration auf dem Vormarsch: Sophie, Marie, Anton, Emil, Karl.

Natur: Der Cottage-Trend ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Überall handgekochte Marmelade. Auch von Männern gekochte. In den Großstädten boomen die Schrebergärten. Die erfolgreichsten Zeitschriften-Neugründungen handeln von Apfelbaum-Idyllen, Kräutergärten, Backsteinmauern und handgestrickten Schals.

Politik: Und dann natürlich die Rückkehr all dessen, was wir längst überwunden geglaubt hatten. Männer mit Bärten, Maschinengewehren und Hass in den Augen. Hollywood hat Recht: Die Welt ist voller Wiedergänger, Untoter. Alles kommt wieder. Alles. Nichts hört auf. Niemals.

PS: Demnächst wieder eine Kolumne zur Zukunft.

Erscheint in der November-Ausgabe des TREND UPDATE: www.trend-update.de

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