Ist Fleischverzicht ein „Megatrend“? Oder eine Attitüde, die bald wieder vorübergeht?
In Deutschland und der EU stagniert der Fleischverbrauch. In den USA geht er seit 6 Jahren deutlich zurück, übrigens ebenso wie die Zahl der gefahrenen Auto-Kilometer. Fleisch ist, so wird es zunehmend in den Zeitungen verhandelt, ein Suchtproblem, mindestens so schlimm wie Zigarettenrauchen. Wer möchte angesichts der grauenhaften Verhältnisse in den Mastfabriken, des irrwitzigen tierisch-militärischen Komplexes, der die Erde mit seinen Düngemassen, Giftgasen und ethischen Verrohungen verseucht, ernsthaft bezweifeln, dass wir es mit einem Mega-Problem zu tun haben?
Aber macht das den Verzicht auf Fleisch umgekehrt zu einem „Megatrend“? Eine Reportage auf Spiegel Online hat mich etwas nachdenklich werden lassen. Unter dem Titel „Gläserner Schlachthof in Dänemark: Tötung inklusive“ wurde dort über den „Show-Schlachthof“ des Fleischkonzerns Danish Crown berichtet. Und seine überraschend starke Wirkung auf die öffentliche Meinung. Warum
interessieren sich so viele Menschen für einen Ort des Grauens? Besucher berichten von einer seltsamen, fast künstlerischen Faszination, die von dem perfekten hygienischen Schauspiel ausgeht, den langen Förderbändern, auf denen perfekt ausgeschnittene Schweineteile laufen, von den Metzgern in langen Reihen, die trotz allen Blutes immer saubere Kittelschürzen zu tragen scheinen.
Weil durch die extrem hohe Effektivität wenig Mitarbeiter gebraucht werden, kann man ihnen hohe Löhne bezahlen. Die Akzeptanz für das Fleischessen steigt tatsächlich nach dem Besuch
der Anlage. Besonders bei Kindern und Jugendlichen. Jede Frage wird beantwortet, man darf fotografieren, soll es sogar. In der Debatte um das Fleisch treffen tiefe Begierden auf ebenso tiefe Gefühle der Angst und des Ekels. Unser Verhältnis zur Natur, dieser Dauerbrenner der deutschen Befindlichkeit, prallt auf die grundlegende Frage des Weltvertrauens. Im Tier, so scheint die emotionalisierte Debatte zu suggerieren, töten und misshandeln wir uns selbst. Aber kann man auch „anständig“ töten?
Meine Prognose: Ja, der Fleischverzehr wird langsam weiter zurückgehen. Das ist mehr als gut so. Die schrecklichen Exzesse dieser Branche sind am Ende angelangt. Aber wie die grünen Moralisten von einst heute gerne verbrauchsgeregelte SUVs fahren, wird uns auch das Fleisch nicht vom Haken lassen. Die Geschichte der Evolution spiegelt sich darin, die eben nicht eine harmonische Nachhaltigkeitsveranstaltung ist, sondern auch eine Erzählung von Dominanz und Tod. Im Fleischessen liegt ein tieferes Fieber als nur Ernährungsfragen. Es abzuschaffen, hieße eine fundamentale Dimension des Menschlichen zu eliminieren.
Erschienen im TREND UPDATE, www.trend-update.de