Egal ob Eurokrise oder Nummernschilder, Reichendebatte oder Flughafenverzögerung – Hauptsache Gefühl!
Die Serie „Game of Thrones” hat sich zu einer der größten Kultserien unserer Tage entwickelt. Besonders Anhänger der Piratenpartei sind süchtig nach diesem Riesen-Mittelalter-Epos, wie neulich die Wochenzeitung „Die Zeit” herausfand. Es geht um tragische Herrscher, große Huren, Zwerge, Drachen und Magie, um Intrigen, Verrat, Fackelschein und weiße Pferde. Über allem schwebt eine allgemeine Stimmung des Untergangs, des drohenden Unheils, das alle in den Abgrund reißen wird. In den Foren wird die Serie gepriesen weil hier „die Mächtigen und die Welt endlich so dargestellt werden, wie sie wirklich sind – total authentisch! „Regieren”, so sagt die Mutter des grausamen kindlichen Königs Joffrey, „das ist wie auf einem Bett aus Schlingpflanzen liegen und sie ständig ausreißen, damit sie dich nicht im Schlaf erdrosseln.”
Der Erfolg dieser Serie in der Schnittmenge von Heavy Metal, Ayurveda und Rosamunde Pilcher spiegelt den Strukturwandel unserer politischen Öffentlichkeit wider. Egal ob Eurokrise oder Autonummernschilder, Reichendebatte oder Flughafenverzögerung – Hauptsache Gefühl! In jedem Internetforum meint irgendein 123deeprider, die Außenpolitik in Sachen Syrien sein nun wirklich echt Scheiße, das würde ihn megamäßig nerven. In den Politik-Talkshows hat sich die Fragetechnik in den letzten Jahren radikal verändert. Es geht nicht darum, wie man ein Phänomen besser verstehen oder gar im Konsens lösen kann. Sondern was man fühlt. Wie FINDEN sie denn das? Was GEHT IN IHNEN VOR, wenn sie diesen Videoclip sehen…? GLAUBEN sie denn nicht auch, dass… ? In diesem Biotop überleben nur die Schrillen, die Doofen, und Sahra Wagenknecht.
Jeder meint, dass Meinen und Fühlen das Größte ist. Aber Politik ist die Kunst des Abwägens, des manchmal diskreten Vermittelns – der Ent-Emotionalisierung. Politik und Demokratie sind Sozialtechniken, die kluge Menschen erfunden haben, um den Hang, sich gegenseitig ganz authentisch an die Gurgel zu gehen, zu moderieren.
Angela Merkel hat es geschafft, sich diesem Emotionalisierungssog zu entziehen. Sie macht eine Politik der Diplomatie, der hartnäckigen Entschleunigung. In Sachen Europa ist das echte Guru-Kunst. Aber gerade deshalb zieht sie Riesenemotionen auf sich. Nun auch den Zorn von Gertrud Höhler, die, ganz im Stil der bösen Königin, sie für eine neue Diktatorin hält. Sofort reagiert der ewige Shitstorm: Diktatorin! Herzlose Königin! Aufs Schafott!
Man kann nur dankbar sein, dass es noch Politiker gibt, die auf dem alten Politikstil beharren und sich nicht kirre machen lassen. Peter Altmaier ist so einer. Volker Kauder. Ursula von der Leyen schafft es sogar, Gefühle zu erklären. Auch bei den Grünen und bei der SPD findet man immer wieder Apologeten der Besonnenheit. Die FDP übt noch, nachdem sie sich mit Erregungspolitik fast abgeschafft hat. Und wenn man ganz und gar verzweifelt an der Emotionsdiktatur, hilft immer noch Helmut Schmidt. Immer, wenn er nach seinen „Gefühlen” und „Meinungen” gefragt wird, winkt er mit einer unwirschen Zigarettenbewegung ab. Es geht nicht um Gefühle! Meinungen zählen nicht! Es geht um Politik! Da weiß noch einer: Wenn die Emotionen in der Politik überhandnehmen, dann ist es höchste Zeit, die Koffer zu packen. Für lange.