Was Jean-Luc Picard über Wladimir Putin sagen würde

Ein Rücksturz in die Zeitschleife bringt es zutage: Angst ist der Motor aller politischen Krisen. Dagegen hilft die Kunst des Zweifelns. Merkel und Steinmeier sind auf einem guten Weg.

Stellen wir uns vor: In einem Lichtblitz materialisiert das Flaggschiff der föderierten Sternenflotte, das Raumschiff Enterprise, direkt im Orbit über der Krim – durch einen Zeitstrudel aus dem Jahr 2479 in unsere Gegenwart gerissen. Sirenen heulen auf dem Kommandodeck, so dass der Kommandant zunächst alle Hände voll zu tun hat, das Schiff zu stabilisieren.

Aber dann lehnt sich Jean-Luc Picard, mein Lieblingsraumschiffkommandant, in seinem Kontursessel zurück. Und sagt in seiner unglaublich lässigen Weise: „Auf den Schirm!“ Putins angespanntes Gesicht erscheint. Seine Stimme, wenn er auf seiner Pressekonferenz von den „faschistischen Horden in Kiew“ spricht, seine staccatoartigen Sätze, wenn er den Westen verantwortlich macht für alle Übel der Welt.

„Es ist die Angst“, würde Picard lächelnd sagen. „Die tiefe Verletzung, das Trauma der Geschichte. Die ungeheuren Leiden seines Volkes, den Hunger der Zarenzeit, die Grauen des Weltkrieges … – all das lebt in ihm konzentriert fort.“

Angst? Lieber Picard, Putin sitzt da breitbeinig und unglaublich selbstbewusst, geradezu großkotzig!

Picard schüttelt den Kopf. „Furcht ist das Feuer, das alle politischen Krisen schürt, die Basis für Hass, Irrsinn und Rücksichtslosigkeit. Angst erzeugt einen Kompensationstunnel, in dem wir unsere Fähigkeit verlieren, die Welt differenziert zu sehen. Dann gilt nur noch: Wir gegen die anderen! Das verletzte Wir. Das heroische Wir! Das Trauma zerstört die Komplexität. Alles ist nur noch Verschwörung. Wir konstruieren unentwegt Feinde, um unserer Angst ein Gefäß zu geben. Das gilt für beide Seiten in einem solchen Konflikt.“

Eine Vision. Eine Religion. Die Fiktion einer Überlegenheit.

Die Sensoren der Enterprise haben inzwischen die aktuellen Krisen der Erde gescannt. Syrien, Palästina, Somalia, Nordkorea … „An all diesen Orten“, ist Picards sonore Stimme zu hören, „haben Menschen über Jahrzehnte, Jahrhunderte Grauenhaftes erlebt. Krieg, Hunger, Unterdrückung. Sie können nicht mehr vertrauen. Ihr inneres Immunsystem ist zusammengebrochen, und deshalb scharen sie sich um einen Führer, eine bizarre Idee, die ihnen Kontrolle verheißt.

So sind Menschen gemacht. Schließlich waren wir sapiens noch vor kurzer Zeit Hordenmenschen – immer, wenn es wenn die Angst übermächtig zu werden drohte, suchten wir etwas, das unsere Ohnmacht milderte. Eine Vision. Eine Religion. Die Fiktion einer Überlegenheit.“

Leicht panisch fragen wir Picard: Aber wie sollen wir das jemals überwinden? Wie habt ihr das gemacht, im 25. Jahrhundert? Offensichtlich gibt es die Erde dann ja noch, was man so hört…

Picard lächelt milde. Nein. Nicht überwunden. Wir haben nur gelernt, damit umzugehen. Kosmische Diplomatie ist die Kunst des Zweifels. Man muss den Gegner verstehen, die Angst ertragen. Man muss eine eigenen Anteile der Furcht verstehen. Ihr seid dabei besser, als ihr glaubt. Angela Merkel. Der zweifelnde Steinmeier. Selbst der grübelnde Obama. Die Ukrainer selbst beherrschen ihre Angst doch gar nicht so schlecht, oder? Ihr Europäer, Ihr glaubt nicht an die große Krise. Stattdessen sitzt ihr in Caféhäusern und genießt den Frühling. Ihr werdet es schaffen!

Die Systeme des riesigen Schiffes melden nun anfliegende russische Interkontinentalraketen. Picard dreht seinen Sessel, und ruft lässig: „Scotty, Energie!“

Berliner Zeitung, 05. März 2014

1 comment for “Was Jean-Luc Picard über Wladimir Putin sagen würde

  1. Heike
    12/03/2014 at 10:10

    Interessante Geschichte, ich mag Picard. Aber aus meiner Sicht fehlt der Hinweis darauf, aus welcher inneren Haltung heraus Picard sich nicht einmischt. Und hat diese konkrete Haltung zum eigenen Tun bzw. Lassen wirklich nur Picard? Lieber Herr Horx, ich schätze Sie als Mutmacher, bitte nicht davon abweichen.

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