Von den Schweizern lernern

Vor einigen Wochen haben die Schweizer neu gewählt, und keiner hat´s gemerkt. Doch manchmal bringt gerade das scheinbar Unbedeutende interessante Lehren für die Zukunft hervor.

Zunächst haben Schweizer sich vom Trend zur Rechts-Links-Polarisierung verabschiedet. Stattdessen verhalfen sie zwei subtileren Parteien zum Erfolg. Einer konservativ-konstruktiven. Und einer echten politischen Marktlücke: den GRÜNLIBERALEN.

Geniale Idee! Eine grünliberale Partei würde in Deutschland wahrscheinlich das Parteiengefüge zum Kippen bringen. Denn irgendwie sind wir inzwischen alle Grüne, aber an den Grünen nervt uns das immer noch Verbissen-Dogmatische, das in Berlin gerade zum Künast-Meltdown führt. Von lauter Oberlehrern regiert zu werden, ist keine schöne Perspektive. Warum kann man keine Bahnhöfe FÜR die Umwelt bauen? Warum muss man sich immer Wirtschafts- und Technikfeindlichkeit einhandeln, wenn man ökologisch denkt?

Meine Prognose: Grünliberal wird es in Zukunft auch in Deutschland geben. Die Altgrünen werden unbedeutend oder sich in dieser Richtung neu erfinden müssen. Man muss nur zuschauen, wie hilflos sie vor der Piratenpartei ins Stottern geraten. Oder die FDP kehrt auf diese Weise von den Toten zurück.

Die Schweizer haben eine komische Demokratie. Jede politische Partei sitzt in der Regierung. Erstaunlicherweise führt das Konkordanz-Prinzip jedoch nicht zu politischer Langeweile. Politik bekommt dadurch etwas Pragmatisches, Konstruktives; der ewige Kampf um untote Ideologien, das Lagerdenken, wie es hier noch üblich ist, wird zumindest gedämpft. Wie formulierte unser aller Guru Steve Jobs so treffend? „Die Achse verläuft heute nicht mehr zwischen liberal/konservativ. Sondern zwischen konstruktiv und destruktiv!”

Das beliebteste deutsche Wort ist, neben Besitzstandswahrung, die Grundüberzeugung. Die Grundüberzeugung basiert auf Dogmen, an denen man unbedingt festhalten muss, auch wenn die Welt sich längst verändert hat. Wehrpflicht etwa. Das Primat des Marktes. Heile Kleinfamilie. Keine Ganztagsschulen. Das führt auf Dauer zur so genannten Lagerenttäuschung. Die besteht darin, dass man sich heimatlos, leer und depressiv fühlt, nur weil Politiker etwas dazugelernt haben.

In der Schweiz gibt es zwar keinen flächendeckenden Mindestlohn, aber Vereinbarungen, die auf der Idee basieren, dass es schlicht unanständig ist, Menschen schlecht zu bezahlen. Momentan diskutiert man über einen Grundlohn von 22 Franken (pro Stunde!).

Darüber hinaus könnte die Schweiz uns vielleicht dabei helfen, dass wir nicht bei jedem Anzeichen echter Demokratie in panische Ohnmacht fallen. Wie jetzt bei der Ankündigung von Papandreou, die Griechen über ihre Zukunft zu befragen. Die Schweizer beharren auf der sturen Idee, dass Demokratie etwas mit Verantwortung zu tun hat. In der Schweiz jammert man nicht ständig gegen „die Verbrecher da oben”, die den „kleinen Mann”, der selbstredend über jeden Zweifel erhaben ist, abzocken.

Man zahlt einfach Steuern, ohne Schwarzgeld in die Schweiz zu verschieben (also gut: auf die Bermudas). Nicht zuletzt deshalb, weil man über ihre Verwendung direkt mitentscheidet. Man weiß, dass das Volk sich irren kann. Aber dass auch dieser Irrtum wichtig ist. Für solche flüssige Demokratie muss man üben. Aber es geht. Fangen wir an.

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