Jeder Epoche, jede Kultur, bringt ihre spezifische Krankheit hervor. In Indonesien grassierte die Koro-Krankheit: Männer waren davon überzeugt, dass ihre Geschlechtsteile sich schrumpfend in den Körper zurückzogen. Im Fin de Siècle fielen in öffentlichen Räumen reihenweise Frauen in Ohnmacht. Ob zu eng geschnürte Mieder die Ursache waren, oder unbewusste erotische Motive eine Rolle spielten, oder es sich um Vitaminmangel handelte, ist nicht endgültig geklärt.
Heute nimmt der Burn-out die Rolle eines zentralen gesellschaftlichen Mythos ein. Dabei ist das Phänomen keineswegs neu. Früher schufteten die Hälfte aller Arbeiter im Akkord und waren ständig ausgebrannt, was man als Kind der Nachkriegszeit jeden Abend live erlebte. Die „Managerkrankheit” raffte Männer zwischen 50 und 60 dahin – wer keinen ordentlichen Herzinfarkt erlitt, machte sich als Minderleister verdächtig. Hausfrauen litten still unter „Dauermigräne”. Was nichts anderes war als Depression.
Burn-out ist in Wahrheit eine Depression. Eine tiefe Beschädigung des Selbstwertgefühls führt in eine Stress-Spirale. Im Vergleich zum Bore-out, dem massenhaften Vernichten von Talent durch Unterforderung und Langeweile, ist er jedoch das eher kleinere Problem. Der Grund, weshalb die Talkshows trotzdem immer neue Burnout-Hochämter inszenieren, liegt im enormen Negativitätsvorteil dieses Begriffs. Wer Burn-out hat, ist geadelt. Er ist Opfer dämonischer Kräfte, die „immer schlimmer” werden. Wir mögen Opfer, vor allem wenn sie Prominente sind. In dieser Woche wurde der Burn-out sogar auf den ganzen Erdkreis ausgedehnt. „Burn-out – Der erschöpfte Planet” lautete das Motto einer Themenwoche im ZDF. In den Reportagen zum „Machtfaktor Erde” herrschte das Pathos der Weltverschwörung. Trommelwirbel: Der Klimawandel wird zum „Frontverlauf des 21. Jahrhunderts”.
Auf finstere Weise hängt alles irgendwie mit allem zusammen: russische Schwimm-AKWs mit untergehenden Tonga-Inseln, chinesische Agrarprojekte mit gefährlichen Staudämmen. Auch Klimawandel gab es immer. Die Wikinger besiedelten in der Warmperiode vor tausend Jahren eine Insel namens Grünland. Die Kältewelle der mittelalterlichen kleinen Eiszeit führte zu Not und Elend in Europa, erzwang politische Ordnungen und die Nutzung der Kohle als neuen Rohstoff, was schließlich zur industriellen Revolution führte. Umweltveränderungen können Lernprozesse erzeugen, neue Kooperationen, Innovationen.
Unser in den Savannen der Urzeit auf Mustererkennung geeichtes Hirn ist auf Gefahrenabwehr spezialisiert. Weil es evolutionär von Vorteil war, lieber ein Muster zu viel zu erkennen als eines zu wenig, sehen wir uns unentwegt von Bedrohungen umgeben. Früher waren es die Schamanen, die mit viel Tamtam und Trommeln die Dämonen beschwörten. Heute sind es die alarmistischen Medien.
Wenn die Außerirdischen unseren Planeten beobachten – natürlich tun sie das (auch wenn die Nasa es leugnet!) – sehen sie keinen grau getönten Stressplaneten. Sondern ein blaues Juwel, auf dem sich erste Zeichen einer intelligenten Zivilisation abzeichnen. Erschöpft und ausgebrannt sind nur die alten Massenmedien in ihrem verzweifelten Kampf um die knapp werdende Ressource Aufmerksamkeit.