Mein kleiner, grüner Baum

Weihnachtsbäume können Kerzen Halt geben und ihre Nadeln abwerfen. In Kolumbien sind sie inzwischen auch ein Hoffnungszeichen für den Frieden.

Gestern habe ich meinen Tannenbaum gekauft. Eine der üblichen Konsumentscheidungen: eher bio oder billig? Groß oder klein? Routine, sobald die Kinder aus dem Haus oder im Smartphone-Nirwana verschwunden sind. Aber dann stieß ich zufällig bei der Zukunfts-Plattform TED auf einen faszinierenden Vortrag über die Kreativität von Weihnachtsbäumen. Die Geschichte spielt in Kolumbien. Ein Land, das dieses Jahr bei der Fußballweltmeisterschaft unglaublich gut aufspielte. In dem Hoffnung herrscht, ein regelrechter Aufbruch.

Ein 50-jähriger Bürgerkrieg, der mehr Tote forderte und Flüchtlinge hervorbrachte als der in Syrien, geht endlich dem Ende zu. Immer mehr Guerilleros verlassen den Dschungel und kehren heim zu ihren Familien. Daran mitverantwortlich sind Weihnachtsbäume. Wie bitte? Jose Miguel Skoloff, ein Anti-Guerilla-Kreativer, ließ mit seinem Team gigantische Weihnachtsbäume in den Dschungel stellen mit der Leuchtschrift: „Wenn Weihnachten in den Dschungel kommt, kannst auch Du nach Hause kommen!“

Natürlich klappt das nicht immer. An der bizarren Grenze zwischen Nord- und Südkorea sorgt ein gigantischer Weihnachtsbaum derzeit für politische Spannungen und Drohgebärden. Es geht mir auch gar nicht um den Weihnachtsbaum. Es geht um begründete Hoffnung.

Gründe dafür gibt es mehr als genug, wenn man sich einen Moment nicht vom ewigen medialen Alles-wird-immer-Schlechter-aber-hier-gibt’s-tolle-Titten-Theater blenden lässt. Ist das nicht eine großartige, hoffnungsmachende Geste, wie die 81-jährige Grand Dame des US-Kongresses die schrecklichen CIA-Folterpapiere veröffentlichte? Kann es uns nicht Hoffnung machen, dass wir derzeit viel näher an einem weltweiten Klimaschutz-Abkommen sind, als alle apokalyptischen Unkenrufer der letzten Jahrzehnte glaubten? In diesem Jahr sind, trotz der neuen Kriege, die Armutszahlen in vielen Teilen der Welt wieder kräftig zurückgegangen. In etwa 60 Prozent der Länder verbesserte sich der HDI, der Index für das humane Wohlergehen. Auch 20 afrikanische Länder waren dabei. Killer-Krankheiten wie Malaria sind auf dem Rückzug. In China sind erneuerbare Energien massiv auf dem Vormarsch. Ist das alles nichts?

Die deutsche Kognitionspsychologin Gabriele Oettingen hat einem neuen Buch ihre Forschungsergebnisse über die Funktion von Visionen und Hoffnung (Rethinking Positive Thinking) veröffentlicht. Visionen – fixierte Zukunftsbilder – haben immer den Nachteil, dass man furchtbar enttäuscht wird, wenn sie „so“ nicht eintreten. Und dann ist man beleidigt, so wie wir derzeit alle über die Welt beleidigt sind. Oder das, was wir dafür halten. Besonders die rebellischen Pegida-Spießer in Dresden.

Hoffnung ist jener Zustand, in dem eine lebendige Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft existiert. Hoffnung ist die humane Essenz. Wir sind neugierig auf das, was noch kommt. Wir ahnen, dass wir unseren Teil beitragen können. Dass die Welt voll ist mit Überraschungen ist. Kreativität. Lösungen. Davon erzählt mein kleiner Baum, der jetzt unschuldig und grün in der Ecke steht. Und irgendwie grinst.

Erschienen am 10.12.2014 in der Berliner Zeitung

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