Lang lebe die Sparsamkeit

Die neueste Erfindung der Empörungsindustrie lautet AUSTERITÄT. Klingt irgendwie nach böser Schweinerei von denen da oben.

Wer eine verlässliche Datenbank des Zeitgeistes sucht, muss nur jene magischen Worte katalogisieren, die im Vierteljahresrhythmus wie ein viraler Infekt die öffentliche Meinung befallen. Sie wirken wie bewußtseinsverändernde Drogen: Man sieht die Welt in den Scheuklappen eines bestimmten „Trends”, der dadurch, dass er unentwegt wiederholt wird, immer wahrer erscheint. Waldsterben zum Beispiel führt bis heute dazu, dass man beim Spazierengehen jeden schütteren Ast für den Niedergang der Natur hält. Klimakatastrophe macht jedes Sommergewitter zu einem Anzeichen kommender Untergänge – außer 30 Grad am 1. Mai, das ist Suuuper-Sommerwetter (BILD). Rinderwahn und Vogelgrippe, Prekarisierung und Neoliberalismus wirken ähnlich.

Ein anderer Hit heißt BURN-OUT. Wer auf sich hält, fühlt sich im neoliberalen Prekarisierungskapitalismus vollkommen ausgebrannt. Und kommt garantiert in die Talkshow.

Die neueste Erfindung der Empörungs- und Erregungsindustrie lautet AUSTERITÄT. Klingt irgendwie nach Australien oder Österreich, jedenfalls nach böser Schweinerei von denen da oben. Gemeint ist die tödliche Gefahr, dass Staaten tatsächlich ihr Budget balancieren könnten. „Kaputtsparen” lautet das dazugehörige Verb. In Frankreich gewinnt man damit Wahlen, und als amerikanischer Kolumnist (oder deutscher Shitstormer) kann man damit wunderbar auf die Europäer eindreschen, die natürlich, wie immer, von Ökonomie keine Ahnung haben.

Das Merkwürdige an diesen Voodoo-Worten ist, dass sich immer alle sofort einig sind. Als käme ein riesiger Meinungsmagnet vom Himmel gefahren, blasen alle Besorgnisträger, Angstverwalter und Weltkritiker ins selbe Horn. „Überall in Europa formiert sich Widerstand gegen Merkel!” „Arbeitslose spanische Jugendliche haben es satt…”… „Austerität zerstört den gesellschaftlichen Zusammenhang!” Alan Posener vermutet in der Welt, dass Austeritätspolitik auf ein „Verbot des Keynesianismus” herausläuft. Gewerkschaften und Linkspartei laufen sich schon mal warm, das Wort als Ersatz für „Turbokapitalismus” zu adoptieren. Nur noch drei Wochen, dann wird garantiert die gleichgeschaltete Talkshowriege (Maischberger/Will/Jauch etc.) rufen: WERDEN WIR SCHWEINEMÄSSIG KAPUTTGESPART – JA ODER JA!?

Nach meiner bescheidenen Lebenserfahrung ist der Moment, in dem man ernsthaft mit dem Sparen beginnt, der Zeitpunkt, an dem Kreativität beginnt. In der Totalkrise ihres Sozialstaates Anfang der 80er Jahre schafften die Finnen und Schweden den Wechsel vom ruinösen Umverteilungsstaat zur aktiven Bürger-Sozialgesellschaft. Zukunft ist immer ein intelligentes Joint Venture zwischen Markt, Staat und Bürgern. Genau das ist die Wahrheit der europäischen Krise.

Das Wort Austerity wurde übrigens vom britischen Schatzkanzler Richard Stafford Cripps im Jahr 1939 zum ersten Mal benutzt, der mit konsequenter Sparpolitik und einer ausgeglichene Zahlungsbilanz die Kosten der englischen Aufrüstung gegen Hitler-Deutschland ermöglichte. Als glühender Anhänger eines vereinten Europa kann ich nur sagen: Long live Austerity! Oder wie sagte der Revolutionär und Maler Eugène Delacroix (von ihm stammt das berühmte heroische Bild der Jeanne d’Arc) so schön? „Das Geheimnis, mit dem ich meine Ängste bekämpfe, sind Ideen!”

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