Kompetent in Apokalypsen

Deutschland befindet sich in einer Art Schockstarre. Der Grund sind ausbleibende Katastrophen, Weltuntergänge und Apokalypsen. Wo bleibt die abendliche Sondersendung, die den globalen Notstand dokumentiert und uns armen Erdenwürmern klarmacht, dass von nun an „NICHTS mehr so sein wird wie früher“? Wo sind die langhaarigen Experten hin, die uns mit breiter hessischer Zunge davon erzählen, dass es übel, übel, ganz übel aussieht, aber man das so genau nicht wissen kann? Was sollen wir jetzt mit unserer kargen Freizeit anfangen?

Am Schlimmsten ist das Katastrophen-Versagen in Fukushima. Nun haben die japanischen Behörden dem Atomunfall endlich das Adelssiegel „Supergau“ vergeben. Stufe 7 – haben wir das nicht IMMER SCHON gesagt?! Aber was bringt das? Tokio steht immer noch, und die Japaner scheinen aus unerfindlichen Gründen zu überleben. Die Strahlenwerte rund um das Kernkraftwerk sinken. Die Kühlung funktioniert, und die Nuklear-Schergen der Geheimorganisation Tepco machen sich ans Aufräumen. Aber mit Sicherheit sagen uns die japanischen Lügenbolde wieder nicht die Wahrheit. Das kennt man ja von den Japanern. Deshalb titelte selbst die sonst so kernkraftoptimistische FAZ wieder „Kein Grund zum Optimismus“.

Was also sollen wir tun, wenn wir nicht mehr auf die Bildschirme starren und entsetzt den Kopf schütteln können – in apokalypsekompetenter Weise, wie das nur wir Deutsche können? Ganz einfach. Wir erfinden einfach einen neuen Notstand.

„Wenn Politik auf Wirklichkeit trifft“, lautet das Motto einer der typischen Erregungs-Shows im deutschen Fernsehen, bei der nach dem Reissverschlussprinzip ausgesuchte Klischeegeber zweier Lager gegeneinander antreten. Man muss das jetzt abwandeln: „Wie Medien aus Fiktion Wirklichkeit basteln“. Frank Plasberg talkte diese Woche über eine Tragödie, die als rein fiktives Fernsehspiel vorher im Programm lief. Ein Film über Gewalt in der Ehe. Die Sendung hieß „Der Feind in der Familie“. Denselben Kunstgriff hatte am Sonntag vorher schon Anne Will vollzogen. Sie machte aus einem der klassischen Sozialdramen namens „Tatort“ (die gleiche Handlung wie meist: Arme Leute werden von Kapitalismus unterdrückt, vom Staat im Stich gelassen, Reiche sind korrupte Schweine) einen echten Talk-Streit. Titel: „Arm bleibt arm, reich bleibt reich – sozialer Aufstieg ein Märchen?“.

Fällt eigentlich noch irgend jemandem dieser Irrsinn auf? Den Intendanten, die unsere Gebührengelder verwalten? Dem Medienrat? Der kritischen Öffentlichkeit? Seit vielen Jahren erzählen uns Kommunikationswissenschaftler, dass Medien die Welt konstruieren. So richtig glauben mochten wir das nicht. Wir murmelten etwas von kritischer Öffentlichkeit. Aber allmählich wird klar, das es sich um eine schlichte Angst-Erregungs-Industrie handelt, die nach Belieben Befürchtungen ausbeutet. Wir sehen schon die Talkrunden der Zukunft: „Verstrahltes Pommern – bringen uns die Polen um, und warum schon wieder?“ – direkt im Anschluss an einen Spielfilm von Roland Emmerich über die Explosion eines polnischen Atomkraftwerks, die einen Krater bis nach Australien hinterlässt. Oder „Der letzte Deutsche – kaputt, dumm und ausgebrannt“. Mit Thilo Sarrazin als einzigem Talkshow-Teilnehmer und Selbst-Interviewer.

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