Im Räderwerk

Diese Woche eröffnete der SPIEGEL den medialen Krisengrusel-Reigen mit einem Zahnrad-Titelbild. Darauf fahren Arbeiter und Aktenträger im Kreis, gefangen im Räderwerk der Großen Industriellen Maschine. Eine Anleihe auf den Film „Modern Times”, in dem Charlie Chaplin als Fließbandarbeiter in die finsteren Abgründe des Taylorismus gerät – im Jahr 1938.

„Die deutsche Gesellschaft erlebt einen tiefgreifenden Wandel”, dräut es im Vorwort; „die Menschen müssen sich auf scharfe Brüche im Erwerbsleben vorbereiten!” Bei so viel Untergang zog, nach dem medialen Hegemann-Prinzip („copy-paste”), sofort Talkmaster Beckmann nach und ließ über den prekären Niedergang der Arbeitswelt diskutieren: „Ausleihen-befristen-kündigen – sieht so die neue Arbeitswelt aus?”

Es sind letztendes die Bilder und Metaphern, die unsere inneren Haltungen prägen. Wer die Arbeitswelt als ewiges Räderwerk darstellt, erhebt die Industriegesellschaft zur Norm, zur inneren Matrix. Und versperrt die Sicht auf die Zukunft.

„Bildung”, schreibt der SPIEGEL, „wird zum Schlüssel für den Aufstieg. Das erhöht den Druck auf die Menschen mit geringer Qualifikation.” Schlussfolgerung: Besser wir bleiben alle blöd. „So haben sich die Zukunftsforscher der Vergangenheit die Gegenwart nicht vorgestellt„, heißt es weiter, „Die große Hoffnung des 20. Jahrhunderts war eine Dienstleistungsgesellschaft mit Wohlstand für alle, die Jobs für alle bereithält.” Ist das wirklich so weit von der Realität entfernt? Heute sind fast doppelt so viele Menschen erwerbstätig wie im Jahr 1960, vor allem Frauen. Mitte der Woche verkündete der DIHK (von den Medien weitgehend ignoriert) einen robusten Zuwachs bei den Service-Berufen.

Kein Wort davon, dass die „Normarbeit” früher zu recht Maloche hieß – und keineswegs lebenslang sicher war. Krankheit und der Niedergang ganzer Industrien machten gerade die alte Industriearbeit prekär. Nichts findet sich im Text über die vielen Firmen, die in dieser Krise gemeinsam mit ihren Mitarbeitern erfolgreich nach neuen Wegen der Flexibilisierung suchten. Keine Rede von den „Flexicurity”-Arbeitsmodellen Kanadas, Skandinaviens, Hollands und anderer Länder, die ihren Niedriglohnsektor aufwärtsmobiler gestalten konnten.

Längst existiert zur industriellen Arbeitswelt eine Alternative. Der Kreative Sektor, den inzwischen sogar die Politik entdeckt hat, ist mehr als eine Anhäufung von Dropouts oder leidender Prekaristen. Er ist der neue Kern einer Kreativen Ökonomie. Die Arbeitsformen wandeln sich nicht nur als Zwang von oben, sondern auch gewollt von unten – als selbstgewählter Emanzipationsprozess vom „ehernen Gehäuse der Hörigkeit”, wie Max Weber einmal die Lohnarbeit bezeichnete. Eine neue Work-Life-Balance, die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten, Vernetzung und Kreativität und eine ANDERE, am individuellen Talent orientierte Bildung – diese Veränderungen versteht nur, wer Arbeitswelt jenseits der Maschinen- und Produktlogik denken kann.

In Deutschland aber sind wir fest auf das alte Industrie-Export-Modell fixiert. Und so enden alle Debatten im Schwarzen Loch einer reaktionären Angst-Nostalgie. „Vielleicht werden im Rückblick jene Jahre die goldenen sein, die früher als eher verkrustet galten: die Ära der Deutschland AG und des Rheinischen Kapitalismus”, schreibt der SPIEGEL. So schwärmt nicht einmal Sara Wagenknecht von der Kumpel-Arbeitswelt der DDR. War es nicht einmal die Aufgabe der Medien, das Neue, Kommende und Werdende zu beschreiben? Einstweilen bleibt jenen, die an eine andere Zukunft glauben, nur übrig, die Abos zu kündigen, die Talkshows abzuschalten… und Brand Eins zu lesen.

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