Die Euro-Krise ist zu einem Mega-Shitstorm geworden, in dem sich Frust und Eitelkeit hemmungslos entladen. Dabei sind die Menschen längst erschöpft. Die Interessen sind sogar ähnliche. Doch so lange immer neuer Alarm geschlagen wird, ist eine Lösung nicht in Sicht.
Nun ist es bald soweit. Die Euro-Krise wird abebben und einer neuen Matrix der Wahrnehmung Platz machen. Dann richten sich die Angst-Radare vielleicht auf die kommende Weltherrschaft Chinas. Die Erosion Amerikas. Oder neue Killerviren. Oder die Verdunkelung des Klimas durch einen Vulkanausbruch. Oder Regen.
Krisen spielerisch lösen
Um den Verlauf von Krisen vorauszusagen, lassen sich Methoden der Spieltheorie einsetzen, die heute in der Prognostik eine wichtige Rolle spielen. Der amerikanische Prognostiker Bueno des Mesquita hat dies in ein robustes Interesse-Macht-Modell gefasst. Mit diesem Modell, das die Akteure auf dem Spielfeld nach Interessen analysiert und dann die Hebelwirkungen der jeweiligen Interessen bewertet, sagt er seit 25 Jahren den Ausgang politischer Konflikte voraus. Zum Beispiel prognostiziert er, dass Iran niemals eine Atombombe bauen wird, sondern an der Grenze zur Kapazität Haltmachen wird. Die Wette gilt – Mesquita lag bei praktisch allen anderen Konflikten der Vergangenheit goldrichtig.
Niemand will Totalabsturz
Mesquitas Methode funktioniert auch für die Euro-Krise. Die Konstellation der Kräfte auf dem Spielfeld ist so, dass niemand Interesse an einem Totalabsturz hat. Akteure, die Europas Niedergang anstreben, sind in der Minderheit. Die Kritiker der europäischen Politik, auch die Rating-Agenturen, verfolgen eher das Ziel einer europäische Super-Ökonomie, die alle Kredite in einen Topf wirft und gleichzeitig die Geld-Druck-Maschinen anwirft. Neo-Keynesianisten und klassische Markt-Ideologen verfolgen dieselben Interessen: Weltweite Kapitalmärkte ohne Friktionen, mit sprudelnden staatlichen Quellen.
Es hat aber auch keiner der Akteure die Kraft, das psychische Drama zu lösen, das aus der Polarisierung der Meinungen und Gefühle entsteht. Die Eurokrise ähnelt inzwischen einem hochemotionalisierten Mega-Shitstorm, in dem uralte Frustrationen, Eitelkeiten und Rechnungen verhandelt werden – zwischen den Ländern, aber auch innerhalb der Gesellschaft. Wir kennen solche Konstellation aus privaten Liebesdramen: Reale, pragmatische Lösungen benötigen eine Art Amnesie, die immer erst entsteht, wenn alle Akteure zu erschöpft sind, um noch weiter „Ich-habe-aber-Recht!” zu brüllen.
Euro-Krise kurz vor Erschöpfung
Jede Krise hat eine Fieberkurve, die von Anzeichen über Symptome bis zu einem Zustand reicht, in dem Erschöpfung in Heilung umschlägt. Vor diesem Erschöpfungspunkt stehen wir derzeit. Die Buchungen der Griechenland-Reisen steigen. Selbst Herr Sinn schweigt. Dass Rösler jetzt die „endgültige Wahrheit” über die Griechen sagt, ist ein Anzeichen dafür, dass die Dinge in die andere Richtung kippen.
Dieser Zyklus kann allenfalls von den Medien gestört werden. Wenn eine Rating-Agentur wie Moody’s auf Risiken hinweist, oder eine Gruppe von Ökonomen Lösungen vorschlägt, wie in den letzten Tagen, lauten die Schlagzeilen in großen deutschen Web-Portalen: „Europa steuert schlafwandelnd auf eine Katastrophe zu!” (Focus) „Schlafwandelnd in die Katastrophe!” (Süddeutsche) „Eine Katastrophe von unabsehbaren Ausmaßen!” (Welt). Ist es ein Zufall, dass es sich bei diesen Medien gerade um jene handelt, die besondere Auflagen-Schwierigkeiten haben? Erst wenn immer mehr Menschen diesen ökonomischen Mechanismus des Alarms als solchen verstehen, ist Zukunft in Sicht.