Es lebe die digitale Achtsamkeit

Die Skandinavier machen uns vor, dass mit der digitalen Entwicklung nicht nur Schritt halten, sondern auch ganz entspannt umgehen kann.

Gehören Sie auch zu jener nicht unbedeutenden Mehrheit, die bei Stichworten wie „Internet der Dinge“ oder „Intelligentes Wohnen“ eher an einen Slapstick-Future-Film aus den 70er-Jahren denkt, in dem die Waschmaschine mit dem Bügeleisen die Macht im Haushalt übernimmt und alles in einem lustvoll-gewalttätigen Chaos endet?

Kein Zweifel: Wir leben in Zeiten des digitalen Showdowns. Die digitale Revolution steht in ihrem Zenit. Und wie alle aufgepeitschten Wellen ist sie gerade dabei, wieder in sich zusammenzufallen. Sie wird zerrieben zwischen den Nerds, die alles, aber auch alles miteinander vernetzten – um es dann umso genussvoller zu hacken. Den „silicon sultans“, den neuen Monopolisten, die das Internet als Gelddruckmaschine betrachten – zum Beispiel der Taxivermittler Uber – und einer hektischen Industrie, die uns auf jeder Messe, auf jeder Jubel-Konferenz mit Solutionismus bombardiert (eine Wortschöpfung des Internet-Kritikers Evgeny Morozov). Technik auf der verzweifelten Suche nach Problemen. Gerade brachte die Bundesbahn eine App auf den Markt, mit der man im ICE mit anderen Fahrgästen digital kommunizieren kann. „Such nette Blondine, die mit mir ins Bordrestaurant geht…“

Jetzt hat Ikea einen äußerst coolen Kommentar zur Lage der Digitalität auf den Markt gebracht. Schlichte Holzmöbel mit einem schmucklosen Kreuz auf der Oberfläche. Dort kann man sein Smartphone hinlegen, und es wird – Simsalabim – wieder aufgeladen. Ist das nicht wunderbar? Ohne Zweifel ist das Smartphone – bei aller Kritik – zu unserem Lebensmittelpunkt geworden. Hätten nicht tausend deutsche Möbelfirmen auf diese pragmatische Idee kommen können?

In Skandinavien hat die digitale Kultur andere Pfade eingeschlagen. So gut wie jede Behörde hat eine Profi-Internet-Seite, die man auch als digitaler Legastheniker bedienen kann.

Achtzig Prozent aller Schweden zahlen bargeldlos. Was jeder an Steuern zahlt, wird freiwillig im Internet veröffentlicht. Neulich hat ein Stockholmer Büro seinen Mitarbeitern Chip-Implantate ermöglicht, mit denen sich Türen öffnen lassen und das Licht bedienen werden kann. Okay, das war vielleicht eher ein Gag.

Was ist das Geheimnis dieses deutlich entspannteren Umgangs mit Technik? Gesellschaftliches Vertrauen! In Skandinavien hat man nicht dauernd das Gefühl, von finsteren Mächten abgehört und unterjocht zu werden. Statt Big Brother gibt es einen Staat, dem man auch das Gute zutraut.

Es gibt auch so etwas wie digitale Achtsamkeit im Alltag: Bei einem skandinavischen Fest wird selten jemand unhöflich an seinem Bildschirm kleben. Digitalität soll auch nicht alle sozialen Probleme radikal lösen – von der Gesundheit über die Mobilität bis zur sozialen Gerechtigkeit. Sie soll einen sinnvollen Beitrag zur Lebensqualität leisten, was einen mündigen Bürger voraussetzt. Gender-Themen gehören in Skandinavien übrigens zur gesellschaftlichen Normalität. Man wird dort kaum eine so bescheuerte Talkshow sehen wie „Hart aber Fair“ am letzten Montag, wo es nur noch darum ging, ein (schwieriges) gesellschaftliches Thema populistisch auf Krawall zu bürsten. Zukunft beginnt immer dort, wo Hysterie und Übertreibung sich verabschieden.

Erschienen am 04.03.2015 in der Berliner Zeitung

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