Neulich traf ich einen fröhlichen Wirt, den ich seit vielen Jahren kenne. „Ich spüre nichts von der Krise”, sagt er, und hielt mir seine joviale Fleischerpranke hin. „Im Gegenteil. Immer ausgebucht, seit Wochen, und FÜR Wochen! Es BRUMMT!”
Gleich neben seinem Restaurant in der Innenstadt einer westeuropäischen Metropole: Krisengeschüttelte Leere, in der gelangweilte Kellner rund um die Uhr die weissen Tischdecken abstauben. Keiner möchte mehr in Designer-Klamotten und Designer-Möbeln „Krebs-Limetten-Schaum an deliziöser Spargel-Komposition” – für 24.80 € essen. Als Vorspeise.
Was macht mein Wirt anders? Ersten betreibt er ein Gasthaus. Kein Wirtshaus, in dem der „Maitre” seine exzentrische Show betreibt, bis die TV-Kochshow ruft. Er kommt NICHT nach geschlagener 6-Gänge-Schlacht heraus und lässt sich feiern und bewundern. Zweites versteht er etwas vom Essen, nicht nur vom Speisekarten- und Food-Design; seine Gerichte sind „basic”, frisch, bodenständig; man weiss, woher das Essen stammt, aus welchen Quellen die Nahrungsmittel kommen. „Soul Food” oder „Die leichte Leckerheit”. Drittens, und das ist entscheidend, ist sein Gasthaus ein durch und durch SOZIALER Ort. Es wird unglaublich viel gequatscht, gelacht, geflirtet, debattiert. Und dabei geht es eben NICHT nur um die sozialen Rangfolgen, die schönsten Frauen, die schnellsten Autos, das teuerste Olivenöl…
Mein Gasthaus ist ein Beispiel für jenen Prozess, den wir jetzt, in der zweiten Phase der Krise, in allen Branchen und Produktgruppen beobachten können: Die Renaissance der Mitte. Aber Vorsicht. „Mitte” heisst eben nicht „mittelmässig”. Sondern „Essentiell”. Oder: „Reell”. Oder „Richtig Gut!”
In Boom-Zeiten, wie wir sie in den letzten 20 Jahre fast immer hatten, entwickeln sich Märkte in diametrale Richtungen. Sie explodieren in die Extreme: In den immer absurderen Luxus-Sektor, wo es im den Exzess geht, das Bizarre, Absonderliche. Und in einen Billig-Trash-Discount-Sektor, in dem alles wurscht ist, außer dem Preis. Statt um Produkte, Innovationen, Services geht es eigentlich nur um Geld, das sich in symbolischem Konsum Ausdruck verleiht. Entweder im Status- oder im Angst-Konsum. Die Boom-Gewinner feiern ihren Triumph in „Conspicious Consumption”. Diejenigen, die Angst haben, von der Dynamik abgehängt zu werden, zelebrieren ihre Angst im Schnäppchenkauf.
In der „realisierten” (also angenommenen) Krise ist das plötzlich alles vorbei. Die Dinge sind wieder „etwas wert”. Nicht mehr das instinktive Kleinhirn entscheidet, sondern der kühl gewordene Verstand.
Doch Vorsicht: Die „neue Mitte” ist aber nicht die alte Mitte. Sie ist dynamisch und geht mit der Zeit. Sie speist sich aus Handwerker-Stolz und Unternehmergeist, aus Kreativität und Sorgfalt – man scheue nicht das große Wort – LIEBE zum Kunden. Ökonomie ist ein Austausch zwischen Menschen, die sich damit ihre Hochachtung erweisen können. Ökonomie ist von Menschen getrieben, die sich mit anderen Menschen über Waren und Services verbinden. Diesen utopischen Kern des Kapitalismus legt die Krise wieder frei.
Eine Prognose sei erlaubt: Die Zeit, in der man zynisch seine Kunden auch noch fürs Klogehen zur Kasse bitten kann – wie die Trash-Airline Ryanair es gerade versucht – gehen zu Ende. Das 280-PS-Verbrennungs-Auto erweist sich als ebensolcher Schrott wie die Billigklamotte von KIK, für die nun die gescheiterte Luxusdame Verona Feldbusch wirbt. Das Supersonderangebot des Handyangebots enthüllt das, was es ist: raffinierter Verwirrungs-Betrug. Goldene Zeiten für Innovationen, die diesen Namen wirklich verdienen. Wir müssen – und können – wieder über die Qualität, die Schönheit, die Sinnhaftigkeit nachdenken, die mit den Dingen und Dienstleistungen verbunden ist. Was ist uns das wirklich wert? Allein diese Frage ist schon so etwas wie eine Revolution.