Ich bin generell für unsere Politiker: die meisten werden für das, was sie leisten, eher schlecht bezahlt.
Als in den wilden 70er-Jahren Sozialisierter freue ich mich immer instinktiv, wenn irgendwo Aufruhr herrscht. Krawall und Demonstrationen rufen bei mir nicht Sehnsucht nach Ruhe und Ordnung hervor. Sondern Neugier und spontane Sympathie.
Soziale Protestbewegungen, so meine Generationserfahrung, sind Teil einer besseren Zukunft. Sie verändern die Gesellschaft von innen heraus, siehe Frauen-, Friedens- und Ökologiebewegung, siehe auch die Lebensstil-Toleranz, die wir heute genießen können.
Derzeit aber sieht die Bilanz des Protestes eher düster aus. Was ist aus Occupy geworden, diesem Basis-Aufruhr, der es den Banken mal ordentlich zeigen wollte? Die Wikileaks-Revolution versandete im paranoiden Narzissmus seines Gründers, von dem man nicht weiß, ob er nicht doch eher hinter den Frauen her ist als hinter der Wahrheit.
Die wütenden Proteste gegen die Sparpolitik in Spanien, Griechenland etc. wirken auch nur noch wie Rituale des Dampfablassens – keine Spur von Aufbrüchen oder Antworten, Wandel oder Utopie – nur noch: „Rückt die Kohle raus!“.
Und dann die Piraten. Was haben sich die Feuilletons die Finger wund geschrieben – endlich, endlich eine neue Gegenkultur! Am Ende erinnert das Piratentum an den Terror in den Wohngemeinschaften meiner Jugend, wo jeder Spleen und jede persönliche Befindlichkeit gleich in ideologischen Blödsinn transformiert wurde.
Vielleicht hat das alles Gründe. In der guten, alten Protestzeit war Politik eine verschworene Veranstaltung älterer Herren. Es gab eine knallharte Konformität des Status quo. Wenn wir demonstrierten, standen am Straßenrand Hausmeistergestalten und verwünschten uns „nach drüben“ oder gar in schlimmere Institutionen. Heute ist das Hausmeistertum selbst rebellisch geworden, und die Rebellen hausmeisterlich.
Scheitern im Sinne des Wandels
Alle sind nur noch dagegen. Gegen die Banken, die Politiker, gegen „die da oben“; die Reichen, gegen Strompreiserhöhung, den Islam, die Ärzte, das Rentensystem, das Wetter, das auch immer schlimmer wird. Alle üben sich ständig in Opferpose und fühlen sich „vom System“ unterdrückt. Dieser Empörungskult wird in jeder öffentlich-rechtlichen Talkshow zelebriert, wo es längst nicht mehr um Lernprozesse geht, sondern um eine Art mediales Posen, inszenierten Shitstorm.
Soziale Bewegungen brauchen vielleicht den Konsens, um ihn in Frage stellen zu können. Nur so können sie wachsen – und produktiv scheitern, im Sinne des Wandels. Nur in der Reibung zwischen Mehrheit und Minderheit entsteht soziale Intelligenz. Deshalb bin ich jetzt DAFÜR. Ich bin für Europa. MEHR Europa! Ganz entschieden für den Euro. Für Angela Merkel, die das toll macht.
Bei der FDP finden sich die letzten echten Rebellen – man sollte ihnen besser zuhören. Ich bin generell für unsere Politiker: die meisten werden für das, was sie leisten, eher schlecht bezahlt. Ich bin für die deutsche Wirtschaft, die immer besser und grüner wird. Ich bin für die Energiewende, die allerdings von uns ALLEN Veränderungen erfordert, nicht nur von den bösen Bonzen. Ich bin für die Banken, die inzwischen eine Menge kapiert haben und sich selbst verändern. Ich bin für die Verbesserung der Kapitalismus.
Wetten, dass man mit dieser letzten rebellischen Haltung den ewigen Zorn des universellen Hausmeistertums erntet?