Die wunderbare Welt der Zukunft hatte in der Kulturproduktion der letzten Dekade kaum einen Platz. Lange vorbei sind die Zeiten, als Science-Fiction-Gurus die philosophischen Fragen der Zeit verhandelten. Selbst „Avatar” spielt irgendwie nicht im Morgen, sondern irgendwo zwischen Mittelerde und Vietnam. Jetzt aber kommt ein ehrgeiziger Zukunfts-Film in die Kinos, der das Europa der kommenden Jahrzehnte in einem plausiblen Szenario zeigen will. Natürlich in einem Untergangs-Szenario.
„Die kommenden Tage” schildert eine Gesellschaft in Agonie, eine zerbröselnde Ordnung. In Berlin rollen die Panzer der Polizei, die EU hat sich aufgelöst, es gibt einen Ansturm afrikanischer Flüchtlinge auf die „Alpenfestung”, dazu Kämpfe um Öl und Wasser, Terrorismus gegen die Herrschaft der Politiker, die sich mit dem verbliebenen Ausbeuterkapital verbunden haben in einer monströsen Untergangsmaschinerie namens Zivilisation. Mit anderen Worten: Alles, was in den Sorgenorgeln der Talkshows ideologisch behauptet und polemisch befürchtet wird, ist hier in einem Drehbuch versammelt.
Der Regisseur Lars Kraume sagt, der Film entstamme seiner Zukunftssorge, die ihn nach der Geburt seines Kindes befiel. Genau so wirkt der Film: als Betroffenheitsbericht aus dem Innenleben unserer Angstkultur. Er spiegelt, was „man” über die Zukunft zu wissen glaubt, wenn man zu viel Zeitung liest und den Fernseher zu lange anlässt, etwa am Sonntag nach den „Tagesthemen”. Rohstoffkriege sind unvermeidbar, die EU ist ein Chaoshaufen, Immigration ist, Sarrazin sei Dank, ein hordenhafter Ansturm. Globalisierung plus Kapitalismus zerstört die Umwelt. Stuttgart 21 gehört irgendwie auch dazu.
Natürlich will der Film warnen. Aber Gesellschaften scheitern, das zeigt die Geschichte, nicht an Rohstoffknappheiten oder Umweltproblemen oder Arm-Reich-Differenzen. Sie scheitern an ihren übersteigerten inneren Ängsten. Wenn wir nach Amerika schauen, scheint eine Zukunft als „molekularer Bürgerkrieg” (Enzensberger) plausibel zu sein. In Amerika kann man studieren, was passiert, wenn die medial geschürten, politisch benutzten Hysterien die Oberhand gewinnen. Im jüngsten Wahlkampf gab es nur noch bizarres Geschrei und zynisches Gelächter. Gewonnen haben die Endzeit-Propheten, die narzisstischen Gröhler und apokalyptischen Spießer. Die Krawallokratie unserer Tage mit ihren immer höher schwingenden Erregungswellen, in denen es nicht mehr um Lösungen oder Veränderungen, sondern nur um den Skandal selbst geht, ist nicht allzu weit davon entfernt.
Zivilisation heißt, Gefahren und Möglichkeiten der Zukunft richtig und realistisch einzuschätzen. Zukunft braucht eine gewisse Nüchternheit, die Fähigkeit, aufgeregten Quatsch von Realität zu unterscheiden. Warum fasziniert sie uns trotzdem immer wieder so unheimlich, die Apokalypse? Es ist, paradoxerweise, die Liebe, die sich nach Endzeit sehnt. Die Liebesgeschichten und Beziehungsdramen in „Die kommenden Tage” sind wunderbar zärtlich und schön erzählt – im tiefsten Sinne authentisch. Offenbar brauchen wir die apokalyptische Kulisse, um wahre Gefühle zu zeigen. Wir lieben den Untergang, weil dann alles klar und endgültig und eindeutig wird. Diese atavistische Sehnsucht nach dem Erstfall ist brandgefährlich.