Die Exomanie

Kann man Jahre intensiven Zusammenseins einfach ad acta legen? Und will man das? Unsere Kolumnisten beobachten ein Phänomen: Wenn die Liebe endet, fängt heute oft die Freundschaft mit dem Ex an. Ist das Angst vor einer Entscheidung oder der Mut, neue Wege zu gehen?

Wir sehen in unserem Bekanntenkreis ein Beziehungsphänomen, das zu einem echten Trend wird. Besonders Männer bauen ein regelrechtes Netzwerk zu ihren „Exen“ auf. Wir meinen nicht die immer verbreiteteren Patchwork-Familien, in denen man auch mal samt Ex und den gemeinsamen Kindern verreist (anstrengend, aber manchmal notwendig). Wir meinen das freundschaftliche „Re-Partnering“ oder auch: die Exomanie.

M. war drei heftige Jahre in Berlin mit Dorothea ein Paar. Die beiden passten wunderbar zusammen, fanden alle, die sie kannten. Sie sahen das anders: zu verschieden! Oder: zu gleich! Je nachdem, mit wem von beiden man spricht. Nun ist M. mit einer Hamburgerin verheiratet, die beiden erwarten ein Kind. Unabhängig davon trifft M. sich immer noch gern mit Dorothea. „Das Vertrautsein geht nicht vorbei, auch wenn man keinen Sex mehr hat“, sagt er. „Das ist ein soziales Kapital, das man nicht einfach verschwenden kann.“ M. unterhält Freundschaften nicht nur zu Dorothea, sondern zu drei seiner Expartnerinnen. Mit einer hat er sogar eine Firma gegründet, bei der er stiller Teilhaber ist – und Ratgeber.

Was seine heutige Frau dazu sagt? M. erzählt: „Am Anfang war das nicht ganz leicht, aber es entlastet unsere Beziehung sogar. Ich habe keine Lust auf die üblichen Kumpel-Cliquen, und sie hat auch freundschaftlichen Kontakt zu einigen ihrer Ehemaligen.“

Aus den USA kommt dazu der passende Trend: „Conscious Uncoupling“, bewusste Entpartnerung. Promi-Paare haben damit angefangen, sich öffentlich nicht nur einvernehmlich, sondern demonstrativ zu trennen. Oder irgendwie auch nicht zu trennen (siehe auch „Sich in Liebe trennen“, S. 48). Trennen ist das neue Heiraten. Devise: Endlich ist der Stress weg, und wir können entspannt in Urlaub fahren.

Therapeuten bieten nun sogar eine „Spiritual Divorce“ an. Und das Internet zieht wie immer nach: Auf www.wevorce.com werden Paare, die sich trennen, sowohl mit emotionaler als auch juristischer Hilfestellung voll versorgt.

Liegt im Versuch, aus Liebe Freundschaft zu machen, nicht zwangsläufig Regression – eine Verweigerung besonders der Männer, eine echte Entscheidung zu treffen? So interpretieren es viele Paarpsychologen, und so mag es auch manchmal sein.

Aus Sicht der evolutionären Zukunftsforschung stellt dieses Phänomen jedoch eher eine Adaption an moderne Liebeswelten dar. In individualisierten Kulturen setzt sich das Prinzip der seriellen Monogamie durch: Statistisch durchleben gebildete Großstädter rund zwölf ernsthafte Beziehungen, bevor sie sich oft mit Mitte 30 doch für einen Lebenspartner entscheiden.

Kann man Jahre gemeinsamer Intensität einfach ad acta legen? Wie gehen wir mit den Verletzungen um, die jede Trennung mit sich bringt? Und wie soll man sich in einer total vernetzten Welt wirklich aus dem Weg gehen?

Womöglich ist das Phänomen uralt. In vielen Jäger-und-Sammler-Gemeinschaften gab es durchaus Treue, aber es war auch nicht unüblich, den Partner nach einer gewissen Zeit zu wechseln. Schon im Sinn des Überlebens der Sippe war es nötig, dies sozial zu moderieren. In der globalen, urbanen, vernetzten Welt werden wir in mancher Hinsicht alle wieder zu Stammesnomaden. Wie sagt M. so schön? „Liebe vergeht nie, sie wechselt nur den Quantenzustand.“

Kolumne „Future Love“, Juli 2014, emotion

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