Der mediale Einheitsbrei

Bisweilen trauere ich einer Öffentlichkeit nach, in der Journalisten noch dabei helfen konnten, die Welt mit neuen Augen zu sehen.

Eines der schönsten Gerüchte unserer Zeit lautet, dass wir in einer multipluralen Medienwelt leben, die durch das Internet vielfältiger und demokratischer wird. Tatsächlich? Warum steht dann in allen Zeitungen, Websites, Kommentaren, Blogs eigentlich Tag für Tag das Gleiche?

Bei Bettina Wulf ist man sich einig. Sie war eigentlich immer schon stärker als er. Das konnte nicht gutgehen mit dem blonden Gift! Bei Angela Merkel weiß man in Sternspiegelsüddeutschefaztaz, dass sie die Kühle ist, die die CDU auflaufen lässt, ja regelrecht zersägt, und über Konkurrentenleichen geht. Eben typisch protestantisch. Sarah Wagenknecht ist eine faszinierende Persönlichkeit. Und Steinbrück ist derzeit ein wahres Fest für die Gleich- und Besserwisser aller Kommentarspalten. Man hätte ihn, gäbe es ihn nicht, erfinden müssen. Aber vielleicht haben die Medien ihn ja erfunden!

Wenn der Spiegel beschließt, dass in Sachen Wowereit nun Partyende ist, kann man davon ausgehen, dass demnächst in jedem Kommentar von Flensburg bis Sachsen dasselbe steht. Wenn Philipp Rösler dran ist, ist er dran. Alle tröten ins selbe Horn. Rösler blöd! Rösler schuld! Rösler weg! Die Franzosen können’s nicht mit der Wirtschaft. Banker sind böse. Arme werden immer ärmer, weil Reiche immer reicher werden. Beim Berliner Flughafen sind die Politiker schuld, wir wussten’s ja schon immer. „Unwürdiges Schauspiel“ titelte der Stern ganz prominent über den besoffenen Helmut Berger, der am Flughafen herumtorkelt auf dem Weg zum Dschungelkampf. Und alle schreiben brav dasselbe. Hat schon mal jemand in den Redaktionen darüber nachgedacht, wie man mit solchen Berichten das zynische und menschenverachtende Spiel der Privatsender erst ermöglicht?

Woraus sich dieser Trend zum Konformen speist, kann uns vielleicht am besten die Verhaltenspsychologie beantworten. Dort spricht man von der sogenannten confirmation bias. Menschen haben eine Tendenz, nur das wahrzunehmen, was die eigenen Einstellungen bestätigt. Der psychologische Effekt, der bei der Bestätigung der eigenen Vorurteile entsteht, heißt cognitive ease – ein echter Wohlfühl-Kick mit Endorphinausschüttung. In einer hochvernetzten, extrem kompetitiven Medienwelt wird dieser Effekte millionenfach verstärkt. So greift die Logik des Shit-Storms auf den ganzen öffentlichen Raum über. Als Resultat entsteht eine Art Copy-Paste-Öffentlichkeit, die sich an den traditionell stärksten Erregungsströmen orientiert: Personalisierung und Skandalisierung.

Bisweilen trauere ich einer Öffentlichkeit nach, in der Journalisten noch dabei helfen konnten, die Welt mit neuen Augen zu sehen. In der politische Themen politisch spannend waren – und nicht immer in der dumpfen Journalistenfrage „Müssen Sie nicht sofort zurücktreten!?“ endeten. In der es noch um Konzepte, Ideen, echte Zukunft ging.

Andererseits lassen sich in dieser gleichgeschalteten Welt viel leichter Prognosen machen. Zum Beispiel: Die FDP wird ein Comeback erleben. Sie wird auch im nächsten Bundestag sitzen. Wenn alle glauben, dass die Wirtschaft des Teufels und nur Umverteilung gut ist, kann man die politischen Desaster der Zukunft schon erahnen. Die nächste Krise kommt gewiss. Und dann rennt die Hammelherde wieder in die andere Richtung. Garantiert.

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