Talk-Shows sind nicht dann groß, wenn alles durchgemeint ist. Zusammenhänge müssen sichtbar werden.
Ob eine Gesellschaft zukunftsfähig ist, hängt nicht zuletzt von der Art und Weise ab, wie sie öffentlich ihre Probleme diskutiert. Die Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Polit-Talkshows führt in die genau entgegengesetzte Richtung. Sie unterliegen dem PIMS-Syndrom: P steht für Pessimismus, Polarisierung, Populismus. Devise: Niemals etwas Positives, wir leben am Abgrund, morgen sind wir einen Schritt weiter, bleiben Sie dran! I steht für Ideologisierung: Talkshows zur besten Abend-Sendezeit sind ein Hort für den letzten esoterischen Blödsinn und die einfachsten politischen Formeln.
Die Tendenz geht Richtung Freakshow, weil kaum jemand mit einer differenzierten Meinung sich das noch antun will. Schon die Titel sagen ja, wohin der Hase läuft: „Ob Fußballtrainer oder Putzfrau – Jobs immer gnadenloser.“ (Anne Will). „Alt werden nur die Alten – wenn fit bleiben zur Pflicht wird.“ (Plasberg). „Machofrauen, Müde Männer – letzte Runde im Geschlechterkampf?“ (Sandra Maischberger).
Moralisierung und Simplifizierung bilden die letzten Buchstaben des PIMS-Syndroms. Beliebt ist die Opfer-Inszenierung. Ein Arbeitsloser, eine Kranker, ein Rentner wird als Beispiel für die verderbte Welt des Turbokapitalismus vorgeführt. Danach erübrigt sich im Grunde jede Diskussion, denn Moral lässt sich nie rational diskutieren.
Nun wollen die Intendanten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens den Talkshow-Reigen etwas reduzieren. Von ein, zwei Shows weniger ist die Rede. Haben sie endlich gemerkt, dass die Boulevardisierung der politischen Meinung auf Dauer der Demokratie schadet? Ahnen sie, dass die Gebildeten, die ernsthaft politisch Interessierten diese Inszenierungen längst widerlich finden und den Ausknopf gedrückt haben?
Nein, man muss nicht zu den zigarettenumwölkten Altherrenrunden der 70er oder den feucht-fröhlichen Gelagen von 3 nach Neun oder 5 nach Zehn zurückkehren. In der BBC gibt es das Format Hardtalk, in dem ein prominenter Gast frontal angegangen wird – mit Höflichkeit und Härte, Respekt und Tiefgang. Auch diskursive Hosting-Runden können durchaus erstaunlichen Erkenntnisgewinn bringen. Gute Moderatoren können Überraschendes zulassen, selbst das Private mit dem Politischen verbinden. Das gelingt bisweilen sogar in den heutigen Formaten. Aber das sind Ausnahmen.
Talkshows sind nicht dann groß, wenn alles ausdiskutiert und durchgemeint ist. Sondern wenn die wahre Komplexität der Welt, ihre inneren Zusammenhänge, durch Menschen hindurch sichtbar werden.
Selbst wenn Anne Will bald nur noch auf Phoenix talkt, und Plasberg ins Dritte verbannt wird, wird sich wohl kaum viel ändern. Quotenangst erzeugt einen Schlecker-Effekt. Am Ende übernimmt Stefan Raab. Der hat gerade eine Talkshow entwickelt, die auf eine Mischung von „Deutschland sucht den Superstar“ und Reality TV hinausläuft. Man gewinnt, wenn man die Mehrheit überzeugt. Und bekommt sogar noch Geld dafür. Das ist wenigstens konsequent.
Wetten, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen davon demnächst eine schlechte Kopie herstellen wird? „MASTER-MEINUNG – Das große Rechthaben-Quiz mit Anne Plasberg und Günther Engelke.“