Das Fliewatüüt

Wer in den angeblich so goldenen 70er Jahren Deutschlands als Kind erlebte, der kennt mit ziemlicher Sicherheit das Fliewatüüt. Dieses sagenhafte Gefährt war der Traum aller technikbesessenen Jungs und Mädels. Es flog wie ein Vogel, tauchte wie ein Fisch und überholte alle anderen Autos im nullkommanix. Das Fliewatüüt war der Star einer Kinder-Fernsehsendung, die im Jahr 1972 gigantische Einschaltgruppen bei der relevanten Zielgruppe von 8 bis 80 erreichte.

Dieter Zetsche, oberster Boss von Mercedes, war schon 19, als das Fliewatüüt abhob, aber offenbar ein Fan der Sendung. Bei einem Interview mit dem Stern zauberte er das Wundermobil nun wieder aus dem Ärmel. „Dieses Ding – nennen wir es ruhig weiterhin Auto – wird sich wahrscheinlich in drei Dimensionen bewegen können“, sagte Zetsche. Betrieben werde es selbstredend mit regenerativer Energie. Und demnächst kämen sicher automatische Fahrzeuge, die selbst steuern und Fehler des Fahrers ausgleichen könnten.

Achja, die Zukunft des Autos. Keine Prognose kennt höhere Fallhöhen von Utopie und Wirklichkeit, von Wunder-Erwartung und profanblecherner Wirklichkeit. So gut wie alle Veränderungen der Individual-Mobilität versacken in jener vollautomatischen Boliden-Sehnsucht, die offenbar unmittelbar auf das männliche Stammhirn zugreift. Deutschland ist Land der Tüftler und Innovationen, Hochburg des grünen Gedankenguts und Domäne der Zukunftsängste im Superformat. Aber jeder Studienrat kann einem vorrechnen, dass Elektroautos hinter den Kommastellen nicht so effektiv sind, wie irgendjemand einmal behauptet hat. In Deutschland sind, derzeit 2307 Elektro-Autos zugelassen, plus knapp 40tausend Hybriden.

In China fahren inzwischen 15 Millionen Elektrofahrräder und -Mopeds, die elektrische Fahrzeugflotte wird bis 2013 auf zehn Millionen anwachsen. Aber natürlich gelten Chinesen als Umweltteufel, während wir uns als obergrüne Heilige dem Untergang entgegenwanken.

Seit nunmehr zwei Monaten fahre ich einen feuerroten THINK!, das bis heute einzige am deutschen Markt erhältliche Voll-Elektroauto. Das Teil sieht supercool aus (finden sogar meine beiden ökoskeptischen Söhne), geht ab wie eine Rakete und hängt an der Ampel jeden Porsche ab. Ich kann es (an unseren heimischen Solarkollektoren) für den Gegenwert von 2 Euro dreißig für 150 Kilometer aufladen. Mein iPod versteht sich nahtlos mit dem Bluetooth-Radio (was ich in keiner Luxuslimousine bislang hinbekommen habe). Im Großraum Stadt brauchen wir kein anderes Gefährt und wenn wir mal mit voller Skiausrüstung in die Alpen fahren wollen, mieten wir einen Allrader für eine Woche.

Nicht erst seit Gadaffis Fall fahre ich fröhlich an jeder Tankstelle vorbei. Und sehe dort die armen Benzinjunkies über E10 diskutieren und wacker Tonnen von Fossilstoffen abdrücken. In perfekte neue 2,5-Tonnen-Autos, die meistens vom Bäcker bis in die heimische Garage fahren.

Wo man das Auto bekommt, werde ich immer wieder gefragt. Nicht bei Herrn Zetsche und Herrn Winterkorn und den Herrn von BMW, Audi und Co. Die werden sicher in 100 Jahren das vollautomatisch fliegende Fliewatüüt mit Tachyonenergie entwickelt haben, man sieht ja schon die geilen Designstudien auf den Messen! Mein kleiner THINK! dagegen stammt aus Norwegen und wird gebaut von Leuten, die es einfach TUN, statt teure Kongresse zu halten, auf denen sie nach Subventionen jammern.

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