Containershow mit Kasperletheater

In der Endphase des Wahlkampfes verkommt Politik immer mehr zur Containershow: Schreiereien in den Talkshows, demagogische Untergriffe, taktische Spielchen sind an der Tagesordnung. Das liegt auch daran, dass das Thema Soziale Gerechtigkeit weitgehend unverstanden ist. Interessant ist zu beobachten, wie die nordischen Länder mit diesem Thema umgehen.

In der Schlussphase des Wahlkampfes zeigt sich eine bizarre Sinnlosigkeit. Schreiereien in den Talkshows, demagogische Untergriffe, taktische Spielchen und wenig Ideen, was die Zukunft betrifft. Wie kommt es zu dieser Regression der politischen Kultur?

Meine Vermutung: Es liegt am zentralen Thema des Wahlkampfs, der sozialen Gerechtigkeit. Weil diese als moralischer oder philosophischer Begriff abstrakt ist, driftet die Debatte immer in Richtung auf Empörungs- und Emotionalisierungsgesten. Der Altenpflegerin, der das Geld nicht reicht, der depressive Taxifahrer, der Ungebildete, der sich zu miesesten Bedingungen auf dem Schlachthof verdingt – sie alle verdienen unser Mitleid. Aber im Wahlkampf erzeugt das eine Rhetorik der Angst, die der Komplexität der Frage nicht gerecht wird.

Im Grunde wissen alle, dass höhere Steuern, Mindestlohn und Verbote von Leiharbeit das Elend nicht abschaffen werden. Je reicher und glücklicher unsere Gesellschaft wird (und sie wird immer reicher und glücklicher, allen Unkenrufen zum Trotz) desto sichtbarer werden diejenigen, die ein Schicksal haben.

Interessant ist zu beobachten, wie die nordischen Länder mit diesem Thema umgehen. Dort versteht man soziale Differenz nicht als primär staatliches, sondern als gesellschaftliches Problem. Die skandinavischen Länder sind Vertrauensgesellschaften, in denen der Staat Motor einer ständigen Modernisierung ist und die Bürger sich als Teil dieser Modernisierungen begreifen. Man zahlt nicht gern, aber bereitwillig hohe Steuern, weil man weiß, dass man Leistungs- und lernfähige Schul- und Sozialsysteme erhält. Man entwickelt soziale Innovationssysteme wie die Flexicurity, die Arbeitsmobilität und Beschäftigungssicherheit auf neue Weise kombinieren.

Man modernisiert den Sozialstaat mit marktwirtschaftlichen Methoden. Und man macht die Unternehmen mit sozialen Fragestellungen produktiver. In Skandinavien gibt es die Frauenquote, ohne dass irgendeine Partei auf die Idee käme, das als Bevormundung zu denunzieren. Veggie Days sind sehr verbreitet. Hinzukommt ein nüchterner, experimentierfreudiger Pragmatismus. In Norwegen wurde soeben die Regierung Stoltenberg abgewählt, weil sie so erfolgreich war. Lass mal die anderen ran, vielleicht können die das noch besser!

Grundgedanke der skandinavischen Gesellschaften ist Inklusion. Armut, so hat man vor langer Zeit erkannt, ist kein simples Geldproblem. Armut ist eine Kultur. Nur in intelligenten Kooperationen – zwischen Zivilgesellschaft, Staat und Unternehmen – lässt sich diese Kultur aufbrechen oder wenigstens moderieren. Die Inklusionsidee hat vor einem Jahrzehnt in der Sozialstaatsdebatte Deutschlands ein große Rolle gespielt. Sie hat zu den Hartz-Gesetzen geführt, die enorm erfolgreich waren, aber völlig unverstanden blieben. Dass das Inklusionsdenken denunziert wurde, ist ein Teil unseres politischen Elends.

Den nordischen Code – konstruktiv nach der Zukunft fragen, um die Gegenwart zu verändern – werden wir stärken und erlernen müssen, wenn wir nicht in die Spaltungen und Ideologien der Vergangenheit zurückfallen wollen. Ansonsten wird Politik endgültig zu dem, als was sie kurz vor der Wahl erscheint: Eine Containershow mit eingebautem Kasperletheater.

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