Bedauernswerte Fossilisten

Ich liebe mein E-Mobil. An Kulttempeln namens Tankstelle und den Gläubigen des Benzinkults surre ich vorbei.

Wie ich jetzt in den Zeitungen lesen konnte, gehöre ich zu jener winzigen, kaum auszumachenden Minderheit, die einem verdammten Hype aufgesessen ist. Seit ein einhalb Jahren Jahr fahre ich Elektroauto. Privat, unsubventioniert und mit großem Vergnügen. Mein roter Viersitzer hängt an der Ampel jeden Porsche ab und lässt sich für umgerechnet gut zwei Euro pro 100 Kilometer an der heimischen Solaranlage aufladen. Wir haben noch nie die Reichweite von 150 Kilometer ausgenutzt, denn wir fahren, wie 80 Prozent aller Autofahrer, nur im Stadtverkehr. Für Familienurlaube in den Bergen oder Transporte mieten wir drei, viermal im Jahr ein größeres Auto, wenn möglich einen Hybriden.

Neulich kam ein alter Freund mit seinem nagelneuen Auto zu Besuch, der sich seit Petra Kellys seligen Zeiten dem grünen Milieu zugehörig fühlt. Er regte sich ausgiebig über von den Schweinespekulanten erhöhten Benzinpreise und kriegslüsterne Israelis auf. Und schwärmte, dass sein neuer SUV (Zwei-Tonnen, Leder, Abstandsspurhalter, Nasenbohrautomatik, Schätzkosten 50 Mille) nur noch 8,5 Liter auf 100 Kilometer verbraucht.

Dann sah er mein Elektroauto vor dem Haus und fragte: „Rechnet sich sowas?”

Menschen sind merkwürdige Wesen. Sie verhalten sich weder rational noch ökonomisch. Sie sind auch nicht wirklich an Innovationen interessiert. Sondern an der möglichst reibungslosen Aufrechterhaltung ihrer Homöostase, ihrer menschlichen Grund-Balance. Dieselben Leute, die im Discounter um jeden Cent bangen, kaufen an der Tankstelle obskure V-Benzinmischungen als handele es sich um Unsterblichkeitsdrogen. Autos haben, entgegen allen entgegengesetzten Gerüchten, mit der Bewegung von A nach B nur am Rande zu tun. Es sind Kompensationsmaschinen, Cocooning-Geräte, dazu geschaffen, dass wir in einer immer komplexeren Welt noch Autonomiegefühle und Funktionslust erleben können. Autos handeln nicht von Mobilität, sondern von Macht, Kontrolle, Abgrenzung, Status, Erotik.

Gegen die Art und Weise, wie junge Auto-Journalisten zu ihren Probefahrten kommen, ist Christian Wulff eine Betschwester. Wenn die neuesten Modelle auf Mallorca zur Probefahrt bereitstehen, fehlt es an nichts. Das Korruption zu nennen, würde niemandem einfallen. Es geht auch niemandem in Wahrheit darum, die Umwelt oder die Welt zu retten oder überhaupt etwas zu verbessern. Ohne die alltägliche Dröhnung des Krisengefühls würden wir jede Orientierung verlieren. Wie sollten wir den Abend ohne apokalyptische Empörungstalkshow überstehen? Was würden wir tun, wenn wir nicht rund um die Uhr flammende Besserwisserkommentare an jeden schreiben könnten, dessen Nase/Meinung/Ideologie uns missfällt?

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Wir fahren gerne Auto. Meine Frau und ich surren immer voller Mitgefühl und Staunen an jenen kultischen Tempeln namens „Tankstellen” vorbei, an denen die Fossilisten ihre letzten Rituale vollziehen. Allerdings sehen die Gläubigen des Benzinkults zunehmend mürrisch dabei aus, wenn sie diese … diese Rüssel in ihre Fahrzeuge hängen. Wenn sich eines Tages herausstellt, wie pervers das alles ist, könnte es den Fossilisten gehen wie den Amtskirchen. Man bedauert wortreich ihren Niedergang – und wendet sich diskret lukrativeren Beschäftigungen zu.

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