Wir ertrinken in Informationen und hungern nach Wissen. Der schwedische Zukunftsforscher Hans Rosling macht vor, wie das zu ändern ist.
Zu einem der hartnäckigsten Gerüchte der Gegenwart gehört die Behauptung, wir seien heute über die Welt und ihren Fortgang besser informiert. Aber die Flut von digitalisierten und oft sehr trashigen Medienkanälen führt eher zum gegenteiligen Effekt. „Wir ertrinken in Information und hungern nach Wissen“, formulierte einmal John Naisbitt, der Zukunftsforscher der ersten Stunde.
Hans Rosling
Der Grund für dieses Missverhältnis ist, dass es in der Multikanal-Medienwelt nicht mehr um Erkenntnis, sondern um Erregung geht, nicht um Verstehen, sondern um Affekt. Was früher die Einschaltquote war, ist heute der Klick. Das führt dazu, dass Krisen monströs zu Apokalypsen aufgepumpt werden – und dann bald wieder aus dem Aufmerksamkeitsfeld verschwinden. Das galt für das Drama um Kobane ebenso wie für Ebola: Vor drei Wochen versuchte der digitale Boulevard noch, die Krankheit zum globalen Untergang zu hypen – dann plötzlich Stille auf allen Kanälen.
Der Schwede Hans Rosling gehört derzeit zu den Kult-Stars jener kleinen Gruppe von Erdbewohnern, die sich ernsthaft mit der Zukunft der Welt auseinandersetzen. Der Statistik- und Medizin-Professor tritt auf den legendären TED-Konferenzen auf, dort kommt er auch schon mal mit einer Waschmaschine auf die Bühne oder übt sich im Schwertschlucken („Wenn das hier möglich ist, dann können wir auch die Armut besiegen“). Rosling hat eines der wichtigsten Instrumente der Big-Data-Welt entwickelt: das Datenbanksystem Gapminder, das sich jeder, der über die Trends der globalen Welt Bescheid wissen will, auf den Computer laden kann. Er produziert die witzigsten und lehrreichsten Videos über Geburtenraten, Wohlstandsentwicklung und Weltgesundheit. Und bleibt dem breiten Publikum doch weitgehend unbekannt.
Unlängst führte der Systemökonom Tim Harford (Autor von „Die Logik des Lebens“) im BBC-Rundfunk ein Gespräch mit Hans Rosling, der sich derzeit als Epidemie-Berater in Monrovia, der Hauptstadt von Liberia, aufhält. Rosling beschreibt darin in seiner engagiert-menschlichen Art den Verlauf der Seuche und was man aus ihr lernen kann. Die Ebola- Neu-Infektionen in der Hauptstadt von Liberia sind in den letzten Wochen von 75 am Tag auf 20 gefallen. Freiwillige Helfer sind jetzt besser ausgerüstet, der Wissensstand der Bevölkerung wächst. Rosling beschreibt, wie gerade unter harten Bedingungen internationale Kooperation entsteht: „Ich sitze hier mit einem General der Chinesen, einem Oberst der UN und mit afrikanischen Zivilorganisationen an einem Tisch – und es funktioniert!“
„Ich habe hier das neue Afrika gesehen“, sagt Rosling. „Das Wachsen einer Zivilgesellschaft. Menschen, die entschlossen sind, ihren Weg aus der bitteren Armut um jeden Preis zu verteidigen.“ Existenzielle Krisen, die bewältigt werden, können eine enorme Wirkung auf den Fortschritt haben. Hans Rosling wird in den deutschen Medien weitgehend ignoriert. Sein Ansatz eines anstrengenden Optimismus ist dem medialen Alarmismus einfach diametral entgegengesetzt (ein Spiegel-Interview handelte zuletzt eher von den Nöten des Reporters, einen Termin mit dem umtriebigen Hans zu bekommen). Er war noch nie in einer deutschen Talkshow. Vielleicht ist das auch gut so.
Veröffentlich in der „Berliner Zeitung“ am 12. November 2014, www.berliner-zeitung.de