Willkommen in der Krawallokratie!

Wie kommt es, dass alle paar Wochen völlig überforderte Menschen nach einer Art politischem Lady-Gaga-Prinzip ganz hoch in die Medien gespült werden? Wie eine hamburgische Fernsehmoderatorin, die sich mit ihrer Prosa über Muttersein verhaspelte. Oder im Fall des Herrn S., der wenig Ahnung von Demographie hat, auch nicht viel von Intelligenzforschung und schon gar nichts von der Psychologie der Integration versteht. Der aber über all das unbedingt ein Buch schreiben und verkaufen musste. Und dann wie ein panisches Huhn auf Pressekonferenzen saß, während er Medien Journalisten, Politiker am Nasenring durch die Manege der Empörungskultur führte. Die spielen brav und fleissig mit. Es ging es um alles. Nur nicht um Integration.

Wir erleben den nächsten Akt im Drama eines langen Strukturwandels der Öffentlichkeit. Als Motoren wirken seit langem die großen Talkshows, die von den manchmal etwas steifen Zukunftsdebatten der 90er Jahre zu jenen Quotenspektakeln mutiert sind, in denen es von Moralisierungs-Klischees und „Infofilmen” nur so wimmelt. „Pointen statt Ergebnisse, Fragen, bei denen die Antwort schon vorher klar ist – und bloß keine inhaltlichen Diskussionen”, schrieb der SPIEGEL (dem solche Apodiktik ansonsten auch nicht allzu fremd ist).

Man muss nur die Titel der diesjährigen Plasberg/Will/Maischberger-Shows Revue passieren lassen, um das Ausmaß dieser Boulevardisierung des Politischen zu erahnen:
„Euro im Koma? Gebt uns die D-Mark zurück!”
„Mein Geld, mein Haus, meine Rente – Was ist der Euro noch wert?”
„Nicht ausbildungsfähig! Ist unsere Jugend zu doof?”
„Jung, arm, chancenlos – Wie aus Kindern Harzer werden”
„Genug ist noch zu wenig – Warum regiert uns die Gier?”
„Schlechte Löhne, schnell gekündigt – Aus für Sicherheit und Wohlstand?”

Atomtod, Waldsterben, Schweinegrippe, Überfremdung – in Deutschland hatten wir immer schon den Hang zum plakativ-Apokalyptischen. Auch die gute alte Sitte, sich an Bäumen, Holzhütten oder Bahnhöfen festzuketten, weil sonst der Untergang des Planeten droht, scheint genetisch – nein, kulturell – bedingt. Man könnte das, wie viele meiner angelsächsischen Freunde, als eine gewisse Kauzigkeit durchgehen lassen. Aber es hat auch eine fatale Tradition.

Gerhard Henschel hat in seinem Buch „Menetekel – 3000 Jahre Untergang des Abendlandes” die Geschichte des deutschen Untergangsgeraunes aufgeschrieben. Im Hintergrund steht immer die Angst. Und Angst macht gefährlich und/oder gefügig. „Wenn ich mein Leben betrachte”, so wird Oswald Spengler, der Untergangs-Skandalist der Weimarer Republik, in Henschels Buch zitiert, – ist es ein Gefühl, dass alles, alles beherrscht hat: Angst, Angst vor der Zukunft, Angst vor Verwandten, Angst vor Menschen, Angst vorm Schlaf, vor Behörden, vor Gewitter, vor Krieg, Angst. Angst. Angst vor jeder Bindung, vor Weibern (wenn sie sich ausziehen).”

Der politische Provokateur steigt in einer Medien-Erregungskultur zum eigentlichen Herrscher auf. Bald kann jeder clevere Narziss das ganze öffentliche Wahrnehmungs-System in Geiselhaft nehmen. Siehe Amerika, wo ein Pfarrer aus Köln nun öffentlich den Koran verbrennen will. Sowas muss doch mal gemacht werden können! Wir wollen doch nur diskutieren!

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