Süße Gerüche

Rausch für alle. Der Industrialisierung der weichen Rauschdrogen steht kaum noch etwas im Wege.

In meiner Jugend gab es noch diese verbotenen Gerüche: erdig, süß, illegal. Der Gebrauch bestimmter Rauschdrogen war mit abweichendem Verhalten verbunden: unentwegt kichern, enorm schweigen, rasend schnellen Unsinn erzählen. Bei Mädchen kam das selten an, aber für das Wir-Gefühl der Clique wirkte es Wunder. Ein Code, der ein tiefes Gefühl von Identität garantierte. Wichtiger als der Rausch selbst war, dass man sich als Außenseiter der Gesellschaft fühlen konnte. Einer, der auch etwas riskierte, als Bewohner eines molekular abgesicherten Gegenkosmos. Dass man dafür oft üble Schuhcreme rauchte oder einem meistens nur schlecht wurde – nun ja.

Auch damals gab es schon eine kleine Gegen-Ökonomie, die nicht nur im leicht zittrigen Dealer auf dem Schulhof bestand. In etwas verwahrlosten Seitenstraßen hausten Läden namens Bong, Chaos oder Karma, in denen neben muffigen Schafsfell-Jacken und Trommeln seltsame Gefäße angeboten wurden, die an gynäkologische Labor-Geräte erinnerten. Lang ist es her. Die wahren Hardcore-Kiffer aus der damaligen Zeit, wenn sie denn noch leben, haben inzwischen still und effizient ihr Alters-Business ausgebaut. Erstmal mit Hanf-Hemden, Hanf-Cremes und Bio-Hanf-Seife. Aber jetzt kommt das wirklich große Geschäft. Die richtige Kiff-Industrie.

Der Kapitalismus ist gnadenlos, und er lässt kein Geschäftsfeld aus. In Amerika haben sich ganze provinzielle Einkaufsstraßen in „High Street“ und „Weed Paradieses“ verwandelt – inklusive Leuchtreklame und „Riders-on-the-Storm-Endlosschleife“. Professionell geführte Farmen bringen ganze Wälder von Marihuana zum Blühen. Mit Wirkstoff-Prozenten, mit denen, wie wir damals sagten, der Hut nie mehr wiederkehrt.

In Deutschland kommen derweil die ersten Werbefilme für die kommende Legalisierung in die Kinos, finanziert von Lobbyisten einer blühenden Zukunftsbranche. In diesen Spots geht es zunächst noch um finstere Gestalten, die den Drogenmarkt kontrollieren und den sympathischen Nutzer am harmlosen Konsum hindern. Stimmt ja auch. Ist der mörderische Drogen-Trail, der sich rund um den Planeten spannt und ganze Gesellschaften (wie Mexiko) ruiniert, nicht ein monströses Kind der Illegalität? Zeigen entspannte Städte wie Amsterdam nicht, dass süße Gerüche in der Luft keineswegs die Gesellschaft ruinieren? Soll nicht spätestens im 21. Jahrhundert jeder rauchen oder in seine Plätzchen backen, können was er will?

Der Kommunikationswissenschaftler Norbert Bolz prägte einmal den Satz von der „Entübelung des Bösen“. Offene Gesellschaften erzeugen einen Sog der Eingemeindung des vorher Tabuisierten. Was als abweichend galt, wird die Norm, was als obszön galt, wird zum Thema von Vorabendsendungen. Ich sehe die Zukunft schon vor mir: Die große Turn-Messe mit Geschäftsleuten aus aller Herren Ländern und exklusives Test-Rauchen. Der nette Bioweed-Designer-Laden auf der Einkaufsstraße, mit frischer Ware aus Kathmandu – die Herbsternte dröhnt dieses Jahr richtig, aber hallo! Die bunte Rauschbox von Karstadt zum Weihnachtsfest, mit acht Edelsorten in psychedelischem Geschenkpapier. Für Oma, Tante Elfriede und den Hund. Ist das gut? Oder eher schlecht? Oder bin ich einfach nur auf reaktionäre, hippiehafte Weise nostalgisch?

Erschienen am 26.11.2014 in der Berliner Zeitung

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