Stoppelige Zeichen der Virilität

In den Großstädten ist es längst unübersehbar: Der Bart ist zurück. Lädt die gepflegte neue Lässigkeit die Beziehungen zwischen Männern und Frauen mit einer Extradosis Testosteron auf?

Einstmals lebte ein tapferer Wissenschaftler auf einer einsamen Insel. Nur selten besuchte er seine Ehefrau auf dem Festland. Der Wissenschaftler vollzog an sich selbst ein Experiment: Jeden Morgen wog er das Gewicht seiner rasierten Barthaare und trug den Wert in eine Liste ein. Nach zwei Jahren veröffentlichte er die Ergebnisse in der Zeitschrift „Nature“: Jedes Mal, wenn ein Besuch auf dem Festland bevorstand, verdoppelte sich das Gewicht seiner Barthaare: „Der Tag der Rückkehr und die Wiederaufnahme sexueller Aktivität erzeugte den signifikantesten Anstieg im Bartwachstum“. Das berichtet er in „Nature“, in der Ausgabe vom 30. Mai 1970.

Bartwuchs als Zeichen für Virilität

Bartwuchs, so kann man das Ergebnis seiner Studie lesen, hängt von der erotischen Erwartung ab. Seit den 70er-Jahren haben Bärte ihren Wert als Signal der Virilität eingebüßt. Lange galten sie vor allem als Kennzeichen alter grantiger Männer und gestriger Hippies, die das Falsche rauchten. Aber dieses Jahr ist der Bart massiv zurückgekehrt. Das belegen sogar die deutlich zurückgehenden Rasierklingenumsätze.

Der Bart erlebt ein Comeback

Als Zeichen einer neu akzeptierten Männlichkeit neigt sich damit der Triumphzug des „Metrosexuellen“ dem Ende zu, jenes dezent tätowierten, glattrasierten und deutlich anfeminisierten Männeridols der Nullerjahre.
Allerdings ist das Comeback der – natürlich gut gepflegten – Bärte nicht als Rückkehr einer Macho-Attitüde zu sehen. Es geht eher um eine neue Form der Verfeinerung des Mannes, der als sensitiver Hipster oder Alpha-Softie seine männlichen Züge weder verleugnet noch überschminkt.

Die perfekte Kombination aus Männlichkeit und Sanftheit

Zur Freude vieler Frauen kombinieren Alpha-Softies das beste zweier Welten. Achtsamkeit und Sanftheit mit einem schönen Schuss Testosteron. Solche Männer müssen nicht mit zum Shopping gehen, um zu zeigen, dass sie Frauen verstehen. Sie tun’s einfach. Ohne ihre Männlichkeit zu leugnen. Die starken, sanften Bärtigen sind nicht zuletzt eine Gegenbewegung zum – man verzeihe das schreckliche Wortgetüm – Spornosexuellen. Dies setzt sich aus den Begriffen „Sport und Porn“ zusammen und beschreibt einen Stil, der das Glattrasierte der Metros mit den Muskelpaketen, wie man sie sich in Sportstudios antrainiert, und den Posen aus Pornofilmen kombiniert.

Erschienen im Oktober 2014 in der Kolumne „Future Love“ im Magazin emotion

1 comment for “Stoppelige Zeichen der Virilität

  1. 06/10/2014 at 12:25

    …und es spricht für die Reife der deutschen Gesellschaft, gerade 10 Jahre nach 9/11 (die Rückkehr der Bärte begann sich ja schon 2011 abzuzeichnen) angesichts dieses Trends nicht in Hysterie wegen „schleichender Islamisierung“ auszubrechen! Offensichtlich hat selbst der durchschnittliche Bildzeitungsleser begriffen, dass nicht jeder längere Bart ein Talibart ist… jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie der Barttrend bei den MALOs ankommt!

    Übrigens funktioniert diese nüchterne Differenzierung in Sachen Bärten sogar in islamischen Ländern, wo das Thema „Bart“ doch eigentlich bis an die Grenzen des Erträglichen politisch-religiös aufgeladen sein sollte – man sehe sich nur einmal YouTube-Videos der Kabuler (!) Metalband „District Unknown“ an! Die jungen Rockfans tragen ganz selbstverständlich Hipsterbärte, ohne dass man nur einen Augenblick an die Taliban denkt…

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