Stolz auf Steuern

Generosität ist subtil subversiv, weil die das dumpfe Marktprinzip, das alle Lebensbereiche zu erobern droht, unterläuft.

Wir leben im Zeitalter der generellen Abrechnung. Ein nickeliger Ton dominiert den öffentlichen Raum. Steinbrück hat für Geld geredet. Viel Geld. Darf der überhaupt soviel verdienen? Die Dienst-Autos von Helmut Schmidt und Helmut Kohl kosteten 1,2 Millionen. Durften die das? Überall wird auf- und abgerechnet: Mit Ärzten, Politikern, Banken, dem Rentensystem, den Schulen, der Bahn, den Krankenhäusern, den Hausbesitzern. An allem sind sowieso die Millionäre schuld. Bald werden wir uns alle gegenseitig ins Wort fallen mit der extremen Beleidigung: SIE MILLIONÄR! Und Stefan Raab wird satte 1 Million Euro dafür spendieren.

Großzügigkeit als übermenschliche Souveränität

Was uns fehlt, ist eine Tugend, deren Wiederentdeckung sich lohnt. Werner Peters, ein Kölner Philosoph und Hotelbesitzer, schreibt in einem noch unveröffentlichten Buch mit dem Titel „Generosität – Versuch über eine neue Ethik für die postmaterielle Gesellschaft“: „Generöses Verhalten bis hin zur ruinösen Verschwendung war für den Adligen des Mittelalters Pflicht und Kür zugleich. Noch weiter zurück in der abendländischen Geschichte leuchtet der Begriff hell auf in der Tugendlehre des Aristoteles, wo er uns als „Megaloprepeia“ (Großgeartetheit) oder gar als „Megalopsychia“ (Hochsinnigkeit oder Seelengröße) begegnet.“

Für Aristoteles war Großzügigkeit die bedeutendste unter den ethischen Tugenden. Er pries sie als übermenschliche Souveränität gegenüber den Dingen dieser Welt und anderen Menschen.

Nun sind wir alle keine Übermenschen. Aber Generosität findet sich auch in Alltagsversionen. Als innere Bereitschaft, zu gönnen. Das Glück der anderen als eigene Herausforderung zu sehen. An die Zukunft zu glauben, indem man etwas für sie tut. In Amerika spürt man auch heute noch Generosität in einer spontanen Hinwendung zu Neuem, zu Fremden. In vielen Ländern der Erde äußert sie sich in tiefer Gastfreundschaft. Auch in unserer Gesellschaft gibt es immer noch viel Generosität – Vertrauens-Kredite auf die Zukunft. Nur wird dies nicht mehr gezeigt. Geschürt wird stattdessen der Neid, die Vermutung, ständig über den Tisch gezogen zu werden.

Stolz auf Steuern

Generosität ist mehr als Großzügigkeit, die man sich auch als hochmütige Geste leisten kann. Sie ist eine mentale Geisteshaltung, die das GANZE, nicht nur den verwertbaren Teil, wahrnimmt. Sie sieht das Ich im Wir, das Kleine im Großen. Sie versöhnt Kinder mit Eltern. Männer mit Frauen. Alte und Junge, Arm und Reich. Sie ist eine bürgerschaftliche (nicht nur „bürgerliche“) Tugend. In Skandinavien ist man eher stolz auf seine Steuern. Das hierzulande erstaunlich häufige Argument, dass der Staat ja „unverantwortlich“ oder gar „verbrecherisch“ mit unseren Geldern umgeht, und deshalb aus reiner „Notwehr“ handelt, wer sein Geld auf Schweizer Banken versteckt, wird man dort selten hören.

Generosität bedeutet, dass wir nicht sofort den Gegenwert für einen Deal erwarten. Generosität ist subtil subversiv, weil die das dumpfe Marktprinzip, das alle Lebensbereiche zu erobern droht, unterläuft. Nein, falsch: Im Grunde eröffnet Generosität erst einen Markt. Einen wahrhaften Zukunftsmarkt. Der Ruin der Gesellschaft findet hingegen statt, wenn jeder diesem Muster folgt: Auf seine Ansprüche pochen. Keinen Fußbreit zurückweichen. Unterschiede skandalisieren. Immer mit dem Finger auf andere zeigen. Zum Beispiel auf „Millionäre“.

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