So geht die Bundestagswahl aus

Die CDU wird schwächer als vorausgesagt. Die SPD schneidet besser ab als gedacht und durch einen Mitleids-Effekt. Die FDP kommt trotzig in den Bundestag. Und: Die Nörgler und Zorn-Spießer werden die AfD über die Fünf-Prozent-Hürde bringen.

Wenn es Wahlen gibt, wächst das Interesse an Politik. So könnte man meinen. Leider ist das falsch. Nichts wirkt so entpolitisierend wie die Skandalisierung und Personalisierung, die in Wahlkampfzeiten jeden Politiker zum Kandidaten einer Billig-Talent-RTL-Show zu machen scheinen. Inzwischen wird auf allen Kanälen von allen Journalisten eigentlich nur noch eine einzige Frage gestellt: „Ist die Wahl nicht längst gelaufen?“

Anhand von Wahlen lassen sich einige grundlegende Probleme der Prognose-Wissenschaft illustrieren. Die Vorstellung, dass „etwas schon gelaufen“ ist, ist selbst schon eine klassische Zukunftsverzerrung, eine „Future Bias“. Wir glauben stets, dass die Zukunft durch das geprägt sein wird, was heute alle zu wissen glauben.

Klassisches Instrument der Wahlprognostik ist die Meinungsumfrage. Doch wer sagt schon, dass er eine radikale oder chancenlose Partei wählen will, oder einen gerade von der Mehrheit als Verlierer gebrandmarkten Kandidaten bevorzugt? Besser schneiden bei der Vorhersage Online-Wahlwetten ab, wie sie zum Beispiel die Politik-Plattform Politikprognosen.de anbietet. Das funktioniert ähnlich wie an einer Börse. Gefragt wird nicht danach, was einer wählen will, sondern was er glaubt, was andere wählen werden. Das bringt Komplexität ins Spiel, und wirkt wie ein System kollektiver Intelligenz. Aber auch hier lauern Probleme mit der Bias, der Wahrnehmungsverzerrung. Der „Spiegel“ bietet ebenfalls eine solche Wahlwette an. Spiegel-Leser halten sich für politisch gebildet, aber deshalb unterliegen sie womöglich einer Self Serving Bias. Sie projizieren ihre Einstellung auf die Mehrheit. Verstärkt wird dieser Verzerrungseffekt, wenn die Zwischen-Ergebnisse der Online-Wette ständig einsehbar sind. Dann kommt es oft zu einem Opportunismus-Effekt. Man passt seine Meinung unbewusst dem Mittelwert an – und dadurch verschieben sich die Ergebnisse.
Mathematische Korrekturverfahren

Nate Silver, der Jungstar der Prognostiker, konnte die Ergebnisse der letzten Obama-Wahl in allen US-Bundesstaaten präzise voraussagen, wozu er komplexe mathematische Korrekturverfahren nutzte. Aber womöglich ist die Situation nicht vergleichbar, weil das US-Wahlsystem immer nur ein Entweder-Oder zulässt. In der deutschen Wahl-Situation hilft am Ende doch wieder nur systemisches Erfahrungswissen, gepaart mit psychologischem Fingerspitzengefühl.

Hier meine Prognose: Die CDU wird schwächer als vorausgesagt, weil sich viele ihrer Wähler verwirrt und heimatlos und demotiviert fühlen (unter 38). Die SPD wird durch einen Mitleids-Effekt besser abschneiden, sie wildert auch im Lager der Linken (über 27). Die Grünen werden, wie bei jeder Wahl, durch ihr unseliges Talent zur Milieu-Hermetik gehemmt (unter 14). Die FDP kommt trotzig in den Bundestag, weil sie die Negation der Neostaats-Politik ist, die im Grunde die alte Links-rechts-Logik abgelöst hat (über 6). Das Überraschende findet aber immer dort statt, wo niemand hinguckt. Was niemand auf dem Radar hat, ist die große Anzahl der Zorn-Spießer und Untergangs-Wutbürger, der emotional Aufgeheizten, Erzürnten, Nörgelnden und Systemfrustrierten, die nach einem Ventil suchen. Und deshalb meine Prognose: Die AfD kommt in den Deutschen Bundestag. Ganz überraschend, und völlig unprognostiziert.

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