Politik von morgen

Ich habe, als Wähler und politischer Mensch, ein Problem, oder vielleicht einen Makel. Ich bin politisch unzuverlässig. Ich schwanke. Ich weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Geschweige denn rechts und links.

Ich finde zum Beispiel, dass die CDU recht hat. Roland Koch hat sehr schön erklärt, was „konservativ” ist. Nicht an alles Neue glauben. Nicht auf jede Fortschrittspropaganda hereinfallen. An verlässliche Systeme anknüpfen. Wandeln als Tastversuch.

Denken nicht die Grünen ähnlich, nur dass sie Atomkraftwerke und zu teure Schnellbahnhöfe ganz konservativ als nicht verlässlich ansehen? Sind nicht die Grünen die konservativste Partei von allen, mit ihrem schwärmerischen Hang für „harmonische Natur”, ihrem Festhalten an Gemeinschafts-Vorstellungen, die irgendwie an Gemeinden erinnern?

Ich finde auch als einigermaßen gut Verdienender), dass die Sozialdemokraten recht haben. Eine Gesellschaft kann und muss umverteilen, einen Ausgleich finden zwischen den Reichen und Benachteiligten. Das ist christlich und anständig, wer könnte dagegen sein? Wir brauchen in einer unruhigen Welt einen starken Staat.

Und schließlich finde ich auch die FDP gut. Freiheit und Selbstverantwortung sind die wahrhaft knappe Ressource. Deshalb brauchen wir eine Gruppe, die hartnäckig darauf beharrt, dass der Staat nicht alles lösen kann – was hierzulande wirklich keine Lobby hat. (Dass die Linken recht haben, finde ich nicht. Dort pflegt man eine eifernde bis geifernde Simplifizierung).

Ich würde also, könnte ich, alle diese Parteien auf einmal wählen. Oder eine Partei, die das alles vertritt. Was mich allerdings inzwischen verlässlich davon abhält, eine bestimmte Partei zu wählen, ist die Regression der billigen Abgrenzung, des Gratis-Populismus. Wenn die CDU einen Parteitag macht – wie vor einigen Tagen – auf dem die Idee der moderaten Modernisierung mit einem Federstrich rhetorisch abgeschafft wird, dann bedeutet das für mich sensiblen Wechsel- beziehungsweise Multi-Wähler: Das war’s dann. „Multikulti ist gescheitert” – „Grüne essen Bananen” – „Familie muss wieder so sein wie früher.”  Quatsch von vorgestern!

Könnte es Politiker geben, die konstant und glaubwürdig mehr Unternehmertum und soziale Gerechtigkeit, mehr Bürgergesellschaft und Freiheit vertreten, mehr Fortschritt und Bewahrung, Familie und Emanzipation, Natur und Hightech, mehr Individualität und Kooperation? Die verstehen, dass all dies im 21.Jahrhundert zusammengehört, dass es einander bedingt – und dass genau diese Durchdringung das Wesen von modernen Gesellschaften ist?

Nein? Das geht nicht? Man muss „Prinzipien” haben? Ohne „Lager” geht es  nicht? Nun gut. Dann sollten wir endgültig definieren, was „Politik” eigentlich meint. Politik hat dann nichts mit Zukunftsgestaltung zu tun, sondern nur mit Psychologie. Es handelt sich um ein kollektives Gesinnungsspektakel. Die Suche nach den gloriosen Wir-Gefühlen, mit denen &„wir gegen die anderen” sein können. Politisches Denken ist dann jenes Denken, das die reale, komplexe Welt nicht aushält. Mit dem tatsächlichen Morgen hat das nichts zu tun. Nur mit alten Stammes-Voodoo-Tänzen. Dann trommelt mal schön!

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