Konstruktive Überraschungen

Nichts ist schwieriger als Prognosen über die Zukunft zu erstellen. Einige Analysten wollen über zurückliegende Vorhersagen lieber nicht mehr sprechen.

Prognosen sind, wie einst der Physiker Nils Bohr anmerkte, besonders schwierig, wenn sie die Zukunft betreffen. Das gilt erst recht für jenen erlauchten Kreis von Ökonomen und Analysten, die derzeit wieder auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos die Welt-Zukunft deuten. So gut wie alle amerikanischen Ökonomen haben dort in diesem Jahr allerdings ein peinliches Problem. Nouriel Roubini etwa, oder der berühmte Paul Krugmann, sagten vor einem Jahr den sicheren Zusammenbruch Europas voraus.

Ebenso wie die deutschen Untergangs-Spezialisten à la Werner Sinn und Dirk Müller. Jedes angelsächsische Magazin brachte ihre Meinungen auf dem Titel und illustrierte die „Eurokalypse“ mit drastischen Bildern. Auch der Spiegel ließ noch vor einem Jahr den Euro völlig ohne Fragezeichen auf dem Titelbild zerfließen. Europa-Bashing war in jeder Talkshow angesagt, Widerspruch ziemlich zwecklos.

Auf ihre Fehlprognosen angesprochen, winden sich die Experten heute wie die Regenwürmer. Der Chefanalyst einer US-Bank, der den Austritt Griechenlands prophezeit hatte, murmelte von „neu gewichteten Szenarien“. Danach folgt der Verschiebungs-Trick. Experten hinterfragen nicht ihre Prämissen oder ihre Denkweisen. Sie dehnen die Fehlprognose einfach weiter in die Zukunft. So argumentieren nicht nur die Zeugen Jehovas, sondern auch der Club of Rome, dessen Welt-Zusammenbruchs-Szenarien heute als ewige Wahrheiten gelten. Dass die Menschheit noch nicht an Hunger und Energiemangel dahingeschieden ist, führen die Jünger des Untergangs auf Zeitverzögerungen hin. Die Katastrophe kommt umso schlimmer, weil sie noch nicht da ist.

Wahlverhalten ist nicht immer vorhersagbar

Bei den Niedersachsen-Wahlen war sich das Gros der Kommentatoren einig, dass die FDP aus dem Parlament fliegt. Bei den Israel-Wahlen stimmten alle Medien darin überein, dass die Rechte den Sieg davontragen wird. Gewonnen hat eine neue, liberale Zukunfts-Partei (können wir hierzulande auch so etwas erfinden?). Gut so, denn wenn alles Wählerverhalten immer durch Experten und Medien voraussagbar wäre, wäre Demokratie entweder bald abgeschafft oder todlangweilig. Was auf das Gleiche hinausläuft.

Nicholas Taleb, der berühmte Erfinder des „Schwarzen Schwans“, sieht im Prinzip der konstruktiven Überraschungen das eigentliche Prinzip der Zukunft. Um „nichtfragil“ zu werden – also anpassungs- und überlebensfähig – sollten wir uns von „sicheren Prognosen“ verabschieden und unser Experten-Misstrauen trainieren. Die Welt ist nicht eindeutig mit ökonomischen Dogmen beschreibbar.

Kulturelle und emotionale Faktoren spielen eine große Rolle. Dieses Jahr lautet das Motto des Davos-Gipfels „Resilient Dynamism“ (Widerstandsfähige Dynamik). Genau das beschreibt unsere Welt: Die politischen, sozialen, gesellschaftlichen Systeme sind viel robuster, lernfähiger, komplexer als wir glauben. Es ist DIESE Erkenntnis, die uns die Europa-Krise lehren könnte. Wenn wir denn lernen wollten, anstatt die alten, simplen und falschen Modelle weiter in die Zukunft zu schreiben. Niels Bohl sagte seinen berühmten Satz übrigens im Kontext mit der Heisenbergschen Unschärfe-Relation. Vielleicht sind es ausgerechnet die nüchternen Physiker, die uns auf den Weg in die Zukunft ein wenig Weisheit und Bescheidenheit mitgeben können.

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