Heroischer Kreativ-Kapitalismus

Stellen wir uns vor, alles wäre ganz anders. Was wir über die Wirtschaft wissen – über das Verhältnis zwischen Preisen, Nachfrage, Konkurrenz und Kapital – wäre schlichtweg „bullshit”. Alle Ökonomen hätten sich gründlich geirrt.

Peter Thiel, einer der grossen Internet-Investoren Amerikas, behauptet genau das in seinem neuen Buch ZERO TO ONE (auch auf Deutsch mit diesem Titel erschienen – mehr Info auf www.amazon.de). Der deutschstämmige Thiel, der Paypal gründete und früh in Facebook investierte, plädiert für ein ganz anderes Kapitalismus-Konzept: Radikal-libertär, hyperkreativ-utopisch und individualistisch bis zum Anschlag.

Stellen wir uns vor, die Konkurrenz, also der eigentliche innere Motor des Kapitalismus, wäre schlecht. Das stellt alle kultur- und makro-ökonomischen Weisheiten auf den Kopf. Aber genau das behauptet Thiel: Konkurrenz belebt nicht, sondern zerstört das Geschäft. Nur Monopole schaffen wirklich neue, radikale Innovationen. Siehe Postwesen, Eisenbahn, Bankwesen im Zeitalter der Rockefellers. Siehe IBM und Apple. Konkurrenz hält vom eigentlichen Auftrag der Zukunft, nämlich der Schaffung des Neuen, der wahren Innovation ab. Diese kann immer nur ein Unikat sein, eine einmalige Neu-Heit, die alle Regeln neu schreibt. Konkurrenz hingegen vernichtet Kapital und Phantasie, weil Unternehmen alle immer nur gegeneinander um Marktanteile kämpfen. Eine Art mörderischer Bürgerkrieg des Ökonomischen, in dem des keine Gewinner, nur Verlierer gibt.

Das Argument ist bestechend. Befinden sich nicht die Telekommunikations-Märkte heute ebenso in einem Preiskampf-Abwärtsstrudel wie Fluggesellschaften, Unterhaltungselektronik, Nahrungsmittel-Märkte, Möbel- oder Modesektoren – schlechter Service, schlechte Qualität, allenfalls Schein-Innovationen, weil alle sich mit Zähnen und Klauen via Marketing gegenseitig ausbluten? Thiel geht sogar noch weiter: Selbst die Idee der Disruption – oder „Kreativen Zerstörung“ bezeichnet er als ein Ablenkungsmanöver, weil sie Unternehmer dazu bringt, ALTE Märkte anzugreifen, statt wahrhaft neue zu schaffen.

Thiels Vision einer Hyperinnovations-Welt ist heroisch. Und faszinierend. Seine Wirtschaftstheorie beinhaltet jene Transzendenz, die man sonst nur von revolutionären Theorien kennt. Sie verweist in Regionen, in denen es ums Ganze geht – wo Unsterblichkeit angeboten wird, oder Teleportation, oder Hotelappartments auf fremden Planeten, mindestens aber die Heilung von Krebs. Aber man spürt auch, dass Thiels Welt etwas Manisches, Zombiehaftes hat. Sie scheint aus einer tiefen Angst zu entstehen, das Entscheidende zu verpassen. Thiel hält Frauen für nicht wirklich führungsfähig, und Work-Life-Balance für Vergangenheit. Die Welt ist für ihn eine gigantische Spielwiese, aber auch ein grosses Durcheinander, in das endlich kreative Ordnung gebracht werden muss. Aber wenn Thiel wieder das übliche Europa-Bashing veranstaltet, das ewige Lied vom müden, rückwärtsgewandten alten Kontinent singt, weiss man, woher der Wind weht. Aus einer ziemlich kalten Zukunft.

Sascha Lobo hat eine solche Vision als „Plattform-Kapitalismus“ bezeichnet – Digitale Monopolisten beherrschen die Welt, und sie sind dabei ganz entspannt. Der Gegenentwurf stammt von Jaron Lanier, der mit seinem Buch „Wem gehört die Zukunft?“ eine schüchterne Antwort auf die Frage versuchte, wie das Internet eine Art Wieder-Vergesellschaftungs erzeugen könnte. Vielleicht ist das der ewige Kampf, der um Technologie, Innovation ausgetragen werden muss. Ein Klassenkampf im Geiste.

Dieser Artikel erscheint in der Dezember-Ausgabe des Monatsmagazins TREND UPDATE

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