Gelungenes Deutschland

Manchmal, in sehr seltenen stabilen Hochdrucklagen, kombiniert mit Fussball-Events, dringt ein magischer Lichtstrahl durch die tiefhängenden Wolken des Zeitgeistes. Einen Moment schweigt die große Sorgenorgel. Talkshows, in denen sonst die üblichen Professoren über die garantiert kommende Superwirtschaftsmegakrise oder den grauenhaften Werte- und Moralzerfall durch Internet dozieren, verwandeln sich in Gickelrunden über die Kunst des Doppelpasses. Man reibt sich die Augen und Ohren. Und plötzlich steht eine unerhörte Frage im Raum: Was ist eigentlich gutgegangen in diesem Land?

Gelungen sind zum Beispiel – Luft anhalten! – die Hartz-Gesetze. Vieles mag noch unfertig sein an dieser Reform. Aber allen Hasstiraden zum Trotz: Die Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe hat ein fundamental anderes Anreizsystem geschaffen. Der Grundsatz „Welfare to Work”, mit dem andere Länder schon seit Jahrzehnten ihr Wohlfahrtssystem erfolgreich umbauen und bewahren, hat auch hierzulande Einzug gehalten. Nun sinkt die Arbeitslosenquote unter 3 Millionen – kann sich noch jemand an die schreienden Titelbilder á la WIR WERDEN ALLE ARBEITSLOS! erinnern?

Gelungen ist eine überraschende Flexibilität des Arbeitsmarktes. Dass Unternehmen im letzten Wirtschaftseinbruch nicht entließen, sondern um ihr Humankapital kämpften – auch mit Hilfe der staatlichen Kurzarbeit – zeugt von einem Paradigmenwechsel im Herzen unserer Wirtschaftskultur. Hier entsteht eine neue Welt der Flexicurity, in der nicht mehr nur alle wie die Kaninchen auf die Schlange der (männlichen) lebenslangen Lohnarbeit starren. Die Wirtschaftswoche schrieb unlängst vom WorkLife-Kapitalismus und formulierte tapfer: „Die Deutschen machen in diesen Monaten die merkwürdige Erfahrung, dass Stabilität nur noch aus Flexibilität erwachsen kann.”

Gelungen sind nicht nur manche Flanken und Dribblings der Neuen Deutschen Fußballspieler, sondern auch tieferliegende Wertewandel-Prozesse. Die jüngste Allensbach-Studie über die Grundwerte der Deutschen bringt Erstaunliches ans Licht. Immerhin fast die Hälfte (48 Prozent) der Deutschen glaubt an die Vorteile des technischen Fortschritts. 52 (!) Prozent der Deutschen interpretieren „Veränderung” primär als Chancenpotential, auch wenn 26 Prozent eher die Risiken betonen. Obwohl eine Mehrheit glaubt, dass das Leben in Zukunft schwieriger wird, glaubt ebenfalls eine Mehrheit, dass es dadurch nicht unbedingt schlechter wird!

Könnte es sein, dass eines Tages ein solch robuster Zukunfts-Optimismus tatsächlich den öffentlichen Diskurs prägt? Dass wir un-idologischer, pragmatischer, neugieriger, konstruktiver über die Zukunft diskutieren können? Dass die unvermeidliche Veränderung, der nötige Wandel, nicht immer nur Horror und Jammer hervorbringt, sondern auch sichtbares Experiment und Aufbruch? Dass Freiheit und Emanzipation ebenso wichtige Werte werden wie Sicherheit und Geborgenheit? Dass die dumpfdeutsche Untergangstrommel langfristig ein bisschen leiser dröhnt? Wie sagt meine kluge (irischstämmige) Frau immer so schön, wenn aus den Spannungen des Alltags mit ein bisschen Anstrengung plötzlich ein Pfad, eine Lösung, ein kleines Glück entsteht? GEHT DOCH!

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