Europa ist ganz einfach

Die Welt, so heißt es wieder in allen Talkshows und Expertenrunden und Kommentaren, ist dermaßen kompliziert geworden, dass der Bürger nie wieder durchblicken kann. Wer versteht denn, wie diese ganzen Rettungsschirme überhaupt funktionieren? Davon hat auch das Verfassungsgericht keinen Schimmer! Auch die Politiker haben keine Ahnung! Und niemand erklärt es einem richtig!

Stellen wir uns einen kurzen Moment vor, das Europa-Problem wäre so einfach, dass man es einem Fünfjährigen erklären kann. In zehn Sätzen: Europa ist ein lebendiger, vitaler Kontinent, der sich in einem mühsamen Prozess der Vereinigung befindet (1). Von den 27 Ländern, die EU-Mitglied sind, haben zwei, drei sich hineingeschmuggelt, obwohl sie innerlich noch nicht so weit waren (2). Einige andere haben die Vorteile, die die Gemeinschaft bot, eher ausgenutzt, auch die großen Länder wie Deutschland (3). Insofern hat Europa sich verhalten, wie jede Familie, in der ja auch immer einige Mitglieder tricksen (4). Dann platzte, die Immobilienblase in Amerika, und die europäischen Staaten retteten Banken (5). Damit geriet das Ganze durcheinander und die Schulden stiegen (6). Eine gute Gelegenheit für Hardzocker an den Börsen, ihr verlorenes Geld zurückzugewinnen (7). Sie verdienen fette Zinsen daran, dass viele Menschen glauben, dass Italiener, Portugiesen und Griechen faule Leute sind (8). Es ist also klug, dass wir gemeinsam für Schulden haften, damit die irren Zinsen heruntergehen (9). Wie kann man die Sache reparieren? Mit Sparen, Zähneknirschen, zeitweisem Wohlstandsverzicht, Innovation. Mit Sich-Ändern. In jedem Leben gibt es solche Phasen, in denen wir uns schmerzhaft ändern müssen. Wir. Nicht nur die anderen (10).

Die Story der Krise ist jetzt nahezu zu Ende erzählt. Allmählich verstehen wir, dass Krisen zu historischen Prozessen DAZUGEHÖREN, ja sogar unerlässlich sind, damit wir vorankommen. Warum beharren trotzdem alle Experten auf der Super-Kompliziertheit-These? Ganz einfach: Ohne Kompliziertheit müssten die vielen Griechenland-ist-ein-hoffnungsloser-Fall- oder Der-Euro-wird-zerplatzen- oder Die-Super-Inflation-wird-uns-alle-verarmen-lassen-Experten, all die hysterischen Expertenalarmisten also, die in den letzten Jahren den öffentlichen Diskurs gekapert hatten, nach Hause gehen und was ordentliches arbeiten.

Der Psychologe Phillip Tetlock untersuchte in einer aufwendigen Studie vor einigen Jahren die Treffsicherheit von Experten. Er befragte eine große Zahl von medial bekannten Koryphäen in Ökonomie und Politik über ihre Zukunftsprognosen. Das Ergebnis seiner berühmten Tetlock-Studie ist klar: Experten liegen am häufigsten daneben, häufiger als Laien. Der Grund dafür liegt in ihrem Tunnelblick, und ihren Eigen-Interesse. Experten müssen einfache Dinge kompliziert machen, damit es Bedarf für ihre Erklärungen gibt. Und dabei vernachlässigen sie das Offensichtliche.

Angela Merkel hat das auf eine recht elegante Weise durchschaut. Sie spielt das Spiel einfach nicht mit. Sie glaubt, dass man keine Sonderpädagogik für den Bürger braucht. Dass die Menschen eine nüchterne Abwägung treffen werden, zu ihrem eigenen und Europas Vorteil. Sie traut uns allen etwas zu. Genau deshalb ist sie so erfolgreich.

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