Die Wiederkehr des Wahns

Was dürfen wir hoffen – angesichts der Weltkrisen des frühen 21. Jahrhunderts?

Dass wir ohne ihn auskommen könnten, war lange Jahre eine leise, summende Hoffnung im Gebäude der Menschheit. Botschafter liefen hin und her, und verkündeten ein neues Zeitalter, eine andere Logik der Geschichte. Kriege und Gewaltkonflikte, so hieß es, seien im 21. Jahrhundert allenfalls Restbestände, Zuckungen einer überwundenen Logik. Auf dem „Raumschiff Erde“ ginge es in Zukunft sinnvoller, friedlicher, gemeinschaftlicher zu. Schon, weil wir in einer enger werdenden Welt zur Kooperation verdammt sind. Oder weil Technologien wie das Internet uns immer tiefer miteinander vernetzen und verbinden.

Auch ich habe das geglaubt.

Es war wie ein Vertrag, den wir mit der Zukunft, geschlossen hatten: Nie wieder sollte ein verrückter Diktator die Welt terrorisieren. Nie wieder sollten Ideologien zu monströsen Staatsgebilden mit totalitärer Herrschaft führen. Nie wieder sollte aus Fanatismus Massenmord entstehen. Dieser Kontrakt der Globalen Empathie konnte sogar dem Schrecken des 11. September widerstehen, der eine Zeit – so schien es zumindest – die Welt sogar noch näher aneinander rücken ließ. Doch plötzlich ist da eine Realität, vor der wir uns die Augen reiben, weil sie nicht mehr in den Rahmen des Flachbildschirmes zu passen scheint. Menschen werden enthauptet wie im finstersten Mittelalter, was gefilmt, gepostet, millionenfach betrachtet und „gelikt“ wird. Menschen liegen sterbend auf afrikanischen Straßen, und keiner kann ihnen helfen.

Flugzeuge fallen vom Himmel, in denen Kinder sitzen wie Evie, Mo und Otis Maslin, deren Leichen zwei Monate nach dem Absturz von MH17 zu ihren australischen Eltern zurückgebracht wurden. Die schrieben einen offenen Brief an die Weltgemeinschaft, den man nicht lesen kann, ohne wahrhaft zu verzweifeln. Willkommen im neuen 21. Jahrhundert. Dem nächsten Jahrhundert des Schreckens?

Foto: DFAT

Die drei Kinder Evie, Mo und Otis Maslin aus Australien waren an Bord des Fluges MH17, der über der Ukraine abgeschossen wurde.

Wovon hier wirklich die Rede ist, lässt sich nur schwer auf den Punkt bringen, aber emotional leicht erspüren. Der epidemische Wahn raubt einem, wenn man ihm begegnet, buchstäblich die Luft. Wie bei den Dementoren, jenen Dunkelwesen in den Harry Potter-Romanen, die eine Art Vakuum um sich herum hinterlassen, in dem man weder atmen noch leben kann. Bei westlichen Politikern konnte man diesen Effekt in diesem Jahr leibhaftig studieren. Wenn Walter Steinmeier in Sachen Ukraine vor die Kameras trat, schien ihm beim Reden die Luft auszubleiben. Obamas hartes Kinn, seine leblose Körperhaltung, wenn er auf die Geschehnisse im Irak und Syrien reagieren musste. Oder wie Angela Merkel von ihren Gesprächen mit Putin auf beredete Art NICHTS erzählte.

Putins Gesicht ist dabei nur das eine. In ihm spiegelt sich der Wahn als Besessenheit, die unruhig nach der nächsten Erregung sucht. Das eigentliche Abgrund ist das russische Fernsehen. Wie dort in rasender Geschwindigkeit eine Welt paranoider Totalität konstruiert wird, hält man im Kopf nicht aus. Eine Woge aus Gerüchten, bizarren Narrativen, Verherrlichungen, Denunziationen, Gerüchten. Ein ostukrainischer Junge soll von ukrainischen Truppen gekreuzigt worden sein. Ein Populist fordert zum nuklearen Erstschlag auf. Ein Kinderchor dankt Putin für seine Friedfertigkeit. Und das alles im blitzenden Ambiente moderner 3-D-Animationen, mit überschminkten, miniberockten Sprecherinnen. Eine Industrie der Lügen und der Angst.

„Worte sind die neuen Waffen. Satelliten sind die neue Artillerie.“ sagt der Bösewicht im James Bond-Film „Der Morgen stirbt nie“. Wir ahnen: Hier geht es nicht einfach um beleidigten Zorn, den man erklären und verhandeln könnte. Es geht um die fundamentale Frage, ob wir, als Menschen, Erdbewohner, Humanoide, noch in EINER Wirklichkeit leben.

Vor einem halben Jahrhundert, als Menschen zum ersten Mal diesen Planeten verließen und zurückblickten auf eine blaue, schöne Kugel in der Schwärze des Alls, begann diese universalistische Idee zu wachsen. Unzählige Rebellionen, Ökologie- und Friedensbewegungen, Debatten und geistige Kämpfe später schien sich diese Vision DES GANZEN in unserer Grundwahrnehmung weitgehend durchgesetzt zu haben. Es gibt nur EINE Erde, EINE Menschenkultur. Eine Welt. Eine Zukunft, die wir miteinander gestalten können und müssen.

Nach der neuen russischen Doktrin der „nonlinearen Kriegsführung“ sollen die Regenbogen-Revolutionen verantwortlich sein für alle Krisen der Welt. Spätestens hier geht die Sache wirklich unter die Haut. Denn der Regenbogen: Das sind wir. Das ist unsere Geschichte, die Geschichte der vielen, kleinen Emanzipationen, Öffnungen, Befreiungen, mühsamen Fortschritte der Komplexität. Gemeint ist eine Gesellschaft, in der Eigensinn zählt, Reflexivität, Toleranz und Sensibilitität. In der auch das Scheitern, das Fremde, das ANDERE zum kulturellen Spiel gehört. Der epidemische Wahn zeichnet sich in seinem Kern dadurch aus, dass er all dies schon als Möglichkeit negiert.

Um den Wahn zu verstehen, reichen die naseweisen Erklärungen der politischen Ökonomie („Neue Weltordnung“ – „Ende des Hegemonialmodells“ – „Skandalöses Versagen des Westens.“) nicht mehr aus. Wir brauchen frische Antworten auf die zweite Kant’sche Frage: Was ist der Mensch? Zumindest Ansätze dazu werden heute von den systemischen Humanwissenschaften geliefert: Der Soziobiologie. Der Kognitionspsychologie. Der Evolutionspsychologie. Den Neurowissenschaften. 99 Prozent aller humaner Lebenszeit lebten unsere Vorfahren in Jäger- und Sammler-Gemeinschaften. In dieser Welt war das Leben kurz, brutal und prekär. Deshalb ist unser kognitives System von der Evolution auf den Umgang mit existentiellen Gefahren geeicht. Wir sind die Nachfahren der Nervösen.

Der berühmte Ethnologe Jared Diamond sagte neulich zu einem Journalisten, der ihn interviewte:

„Sie sind in mein Privathaus gekommen, und wir haben uns nicht sogleich den Kopf abgeschlagen, sondern uns die Hand gegeben. Wenn man in einer Stammesgesellschaft einen Fremden trifft, tötet man ihn oder man läuft weg, oder man beginnt ein langes Gespräch darüber, ob man irgendwelche Verwandten teilt, um einen Grund zu haben, sich nicht zu töten. Erst seit Kurzem geht der Weg Richtung Händeschütteln.“
(Jared Diamond, in einem Interview der FAZ, 6.7.2007)

Zwei besondere Fähigkeiten führten dazu, dass unsere Spezies ihr klobiges Primatenhaupt aus dem Mainstream der Evolution herausheben konnte: Kooperation und Antizipation. Menschen sind, anders als alle anderen Tierarten, fähig zur Shared Intentionality: Sie können gemeinsame Ziele und Wahrnehmungswelten schaffen – und sie strategisch verfolgen. Evolutionsbiologen sehen hier auch die Ursache der Sprache, ja der menschlichen Sozialität überhaupt.

Doch die enorme Plastizität der menschlichen Vorstellungskraft hat einen Preis. Die Kognitionspsychologen Kahnemann und Twersky sprachen von einer „Repräsentationsverzerrung“, die Menschen ständig dazu bringt, ihre inneren Energien an trügerische Symbole zu binden. Der Primatenforscher Thomas Suddendorfer formulierte das neulich in einem Interview so:

„Es gibt unendlich viele Idee und Vorstellungen, und sie lassen sich auf völlig unterschiedliche Weise zu Gedanken, Geschichten und Bildern zusammenstellen. Parabeln, Metaphern, Märchen, Visionen. Wir produzieren ständig verschachtelte Szenarien, die auf immer andere Weise verschachtelt werden können.“
(SZ, 4.10.2014)

Der deutsche Psychiater Klaus Conrad definierte das Phänomen der psychologischen “Apophänie”: Eine Verselbstständigung der menschlichen Mustererkennung, die uns dazu bringt, überall Formen und Zusammenhänge zu sehen, die uns bedrohen oder vernichten sollen.

Paranoia ist ein Wirkstoff, der wie ein Gleichrichter von Kollektiven funktioniert. In existentiellen Situationen neigen Menschen dazu, ein Heroisches Wir zu bilden. Dieser Mechanismus der „Hypersozialität“ (analog zur Eusozialität bei Tieren) ermöglichte unseren Vorfahren, in der Lebensbedrohung „über sich selbst“ hinauszuwachsen. Im Heroischen Wir steigt die Koordinationsfähigkeit, und die natürliche Todesangst kann überwunden werden.

Auch in der modernen Welt sind diese sozio-neuronalen Optionen vorhanden – was jedes “Schleifen” in einer Militärkultur beweist. Wenn man Menschen (Männer) depriviert, anbrüllt, demütigt, ihnen den Schlaf entzieht, lassen sie sich leichter zu Kampfmaschinen formen.

1,8 Millionen Menschen sind im Gaza-Streifen eingesperrt, einem hochverdichteten Siedlungsgebiet. Die islamistische Hamas hat es geschafft, in diesem Soziotop eine solche heroische Opferkultur zu etablieren. Das Kind, das neben dem Raketen-Abschussrohr spielt und von einer israelischen Granate getötet wird, wird im euphorischen Massenbegräbnis sofort zum Teil rauschhafter Propaganda. Trauer bewirkt nicht Rückzug und Besinnung, sondern SCHÜRT den Hass und die Identifikation. Und die Fortpflanzungsrate. Frauen im Gazastreifen bekommen fünf bis sechs Kinder – ein Wert, der nur noch in den tiefsten Einöden Afrikas erreicht wird.

Bedeutet das, dass „der Mensch von Natur auf aggressiv ist“ – wie es derzeit wieder in jedem Feuilleton heruntergebetet wird? Es zeugt nur von der enormen Bandbreite sozio-evolutionärer Möglichkeiten. Menschen sind SOZIALE Wesen. Aber eben SELEKTIV soziale Wesen! In manchen Situationen kann die Empathie für die UNSEREN nur durch den Hass auf die ANDEREN stabilisiert werden. Oxytocin, das Molekül der menschlichen Empathie, das Liebende und Freunde in besonders hoher Dosis im Blut haben, erweist sich als eine Doppel-Droge: Studien zeigten, dass bei hohem Oxytocin-Level die Sympathie für die Nächsten zunimmt – während die Aversion gegen Fremde zunimmt.

Vor fast vierzig Jahren diskutierten wir in den alternativen Medien eine scheinbar absurde Frage: Was wäre, wenn wir – als junge Rebellierende – eine Epoche früher geboren wären? In der Weimarer Republik mit ihren Krisen und Wirren, den Zeiten des frühen Nationalsozialismus? Wären auch wir empfänglich gewesen für die attraktiven Machtangebote der Nazis? Für dieses heroische WIR, das ja ein gewaltiges Rebellions- und Revolutionsversprechen enthielt? Machten wir es uns zu einfach, unsere Eltern und Grosseltern moralisch zu verdammen, ohne die Abgründe in uns selbst, anzuschauen? Natürlich wurde die Frage nie beantwortet. Aber nicht wenige von denen, die noch vor Kurzem unsere Freunde waren, wandten sich der RAF und ihren Killer-Kommandos zu. Aus unglaublich sensiblen und empfindsamen Menschen wurden zerbrechliche und plötzlich hassgetriebene Menschen…

Nun wird nicht aus jedem Hooligan-Hass ein Weltenbrand, aus jeder Rebellion ein Killer-Staat. Der Sturz in die Hass-Regression braucht gewisse Zündungen, Widerstände müssen über die Zeit weggesprengt werden, die Menschen zu universellen Empathien befähigen.

Erstens: Das Trauma. Jeder epidemische Wahn beginnt mit einer tiefen Verletzung, einem existentiellen Kontrollverlust. Kein Verbrecher, der nicht in der Kindheit missbraucht, ignoriert, gedemütigt worden wäre. Keine Kriegsregion, deren Bewohner nicht kollektive Erinnerungen des Schreckens über Generationen gespeichert hätten. Neueste Forschungszweige wie die Epigenetik zeigen, dass es solche Traumata sogar im Erbgut über Generationen weitergegeben werden können.

In Russland ist diese historische Verwerfung auf schreckliche Weise deutlich. Ein riesiges Land, dass sich trotz seines gewaltigen Territoriums vollkommen unsicher fühlt. Das in seiner Geschichte immer wieder mörderischen Angriffen ausgesetzt war, Millionen und Abermillionen von Hungertoten erlebte, Despotien der schrecklichsten Art. Nie konnte sich das Amalgam gesellschaftlichen Vertrauens und ziviler Kooperation bilden. Stabilität, Gewissheit, Sicherheit, Vertrauen – alle Gegenkräfte der Angst, die Menschen für ihre Selbstwirksamkeit brauchen, sind auf dem russischen Kontinent eine Rarität. 80 Prozent aller Russen leben in bröckelnden Wohnungen, nichtfunktionalen Infrastrukturen alter Industriestädte oder zerstörter Ländlichkeit. Aber wen verantwortlich machen für diese ewige Misere? Das Ausland!

Auch der islamistische Terror lebt aus diesem Fundus der Demütigung. Eroberung, koloniale Zerspaltung bis in die Neuzeit, Abu Graib und Guantanamo bilden starke Narrative eines fundamentalen Vernichtungs-Gefühls. Dazu kommt der demographische Faktor. Bei den mörderischen Jungs, die aus Paris-Ost, Leeds oder Dinslaken in den Killerkrieg der IS ziehen, handelt es sich tatsächlich oft um den dritten arbeitslosen Sohn einer kinderreichen Familie: Jenen, für den die elterliche Aufmerksamkeit und die Integrationsfähigkeit der Gesellschaft nicht mehr reichte.

Zweitens: Verschwörungswahn. Für das zerstörte Selbstwertgefühl bedeutet die Vorstellung, viele Feinde zu haben, eine euphorisierende Aufwertung. Die Vorstellung vieler Russen, unentwegt „vom Westen“ gedemütigt worden zu sein, hat zwar wenig mit der jüngsten Wirklichkeit zu tun. Nach 1989 schwappte eher eine Welle tiefer Sympathie und Empathie von West nach Ost; manche Historiker vermuteten sogar eine Art „Russophilie“ der Deutschen. Aber Paranoia überschreibt die Realität…

Es ist kein Zufall, dass Sexualthemen beim Fabrizieren von Hass-Gegnern eine grosse Rolle spielen. Das Denunzieren von „falschen“ sexuellen Handlungsweisen verweist auf das anthropologische Erbe des Wahns. Der eigenen Zeugungskraft (als Symbol für die Überlebenskraft der „Unsrigen“, des Stammes) beschwört man in der Betonung der Impotenz des „Gegners“. Deshalb sind endemische Gewalt-Kulturen immer homophob. Deshalb sind auf den Flugblättern russischer Separatisten mit rosa Plüschkleidern angezogene „EU-Bonzen“ zu sehen. Deshalb werden Frauen von Boko Haram wie von der IS geraubt, vergewaltigt und verkauft.

Drittens: Das Charisma. Schliesslich braucht der kollektive Hass die Figur des Führers. Jene Lichtgestalt, der die Projektionen des Grandiosen Wir verstärkt und ins Heilige, Unantastbare transzendiert. Hitler war – im Sinne des Wahns – der Richtige zur richtigen Zeit. Putin hat mit Novorussia seine Resonanz in der Masse gefunden. Ohne Osama bin Laden hätte es den 11. September nicht gegeben. Aber die alte Vision von Tyrannenmord bleibt auch keine Lösung. Denn die morphischen Felder des Wahns bringen immer wieder neue Protuberanzen hervor, immer neue Köpfe des Schreckens.

Und doch gehört zu den Kantschen Fragen auch die Vierte: Was dürfen wir hoffen?

Hören wir zunächst auf, uns etwas vorzumachen. Weder war der Wahn jemals vom Horizont der Menschheit verschwunden, noch wird er es in Zukunft jemals tun. Der Wahn ist weder „östlich“ noch „westlich“ noch „islamisch“. Er ist nichts anderes als der Preis für die evolutionäre Universalität des Menschen. Für die neuronale Erregbarkeit des „nicht festgestellten Tiers“, wie Nietzsche den homo sapiens nannte.

Doch wie lässt sich der kollektiver Irrsinn jemals beenden, hat er seine Dopamin- und Endorphin-Bahnungen erst einmal etabliert? Am Ende, so der fatale Schluss, sind es immer nur Trümmer und Wüsten, die grosse Katharsis, die den Schrecken zum Halten bringen. Hitler musste so enden, wie er endete: im letzten Bunker. Erst wenn der letzte Islamist sich in mit uns die Luft gesprengt hat, ist der Spuk zu Ende. Aber welcher ist „der Letzte“? Welche Expansion des gloriosen Großrussischen Reiches würde ausreichen, um die Kernenergie dieser angstbasierten Grössenphantasie zu kühlen?

Einige Tröstungen bleiben. Auch der Wahn unterliegt den Gesetzen der Entropie. Er braucht immer neue Dramaturgien, ganz große Bühnen, auf denen er sich entfalten kann. Und gerade hier könnte sein Pferdefuß liegen: Die erschöpfte Apathie, mit denen viele Menschen heute auf die globalen Krisen reagieren, könnte sich als subtiles Gegengift erweisen. Genau hier liegt der Unterschied zu 1914: Die Erregungs-Kaskaden, die damals durch die ganze Gesellschaft schwappten, enden inzwischen im digitalen Cocooning.

In der großen allgemeinen Verunsicherung übersehen wir auch die langfristigen Trends. Zum Beispiel, dass sich die Lage ALLER Menschen auf der Erde statistisch stetig verbessert. Die Anzahl derer, die in ihrer Kindheit schweren Traumata ausgesetzt waren, nimmt trotz allem düsteren Medien-Getöse kontinuierlich ab. In 90 Prozent der Welt herrscht Frieden (was nicht immer heißt: FriedFERTIGkeit). 30.000 wahnhaften ISIS-Kämpfern stehen 120 Millionen muslimische Bewohner – zum Beispiel Indonesiens – gegenüber, die ihr Land rasch in Richtung Demokratie und Wohlstand entwickeln. Die globale Armut sinkt, auch wenn uns jeden Tag etwas anderes suggeriert wird.

Die Menschheit altert. Die russischen Kämpfer an der ostukrainischen Front sind entweder alte Männer oder unwissende Wehrpflichtige. Die Frauen gewinnen überall auf dem Globus an kultureller Formungsmacht. Jene „übermännlichten“ Gesellschaften, in denen der Wahn auf besondere weise blüht, werden tendenziell seltener.

Was uns die heutigen Konflikte drastisch vor Augen führen, ist die ungeheure Ungleichzeitigkeit, die durch die Globalisierung nur noch sichtbarer wird. Aber das berechtigt auch zur Hoffnung: Ist es ganz und gar illusionär, im IS-Terrorismus den Anfang eines kathartischen Selbstreinigungsprozesses der islamischen Welt zu sehen, analog zur frühen Neuzeit in Europa? Könnte Ebola dazu führen, dass sich in den betroffenen Ländern ein funktionales Gesundheitssystem durchsetzt (wie nach der Pest im europäischen Mittelalter)? Denken wir an die Erfahrungen mit AIDS, die eben nicht zur Diskriminierung von Homosexuellen führten (jedenfalls nicht a la longue), sondern zu einer STÄRKUNG von Empathie für eine Minderheit! Ist es völlig ausgeschlossen, dass Europa sich selbst besser definieren kann, wenn es durch einen neuen Totalitarismus an seinem Rand gefordert wird? Oder dass Russland als uralte Kulturnation zu seinen humanistischen Wurzeln
zurückfindet?

Am Ende ist der Wahn ein Spiegel, in dem wir uns selbst und die Zukunft erkennen können. Durch ihn wird gerade das andere wertvoll und kostbar: Die Vernunft. Die Mässigung. Das Verstehen. Das Vertrauen. Die Toleranz. Die Demokratie und ihre Institutionen, die viele nur noch verachtungsvoll betrachteten. Die Kraft, die stets das Böse will und doch das Gute schafft: Damit sollten wir uns als Deutsche oder Österreicher ein bisschen auskennen.

 

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