Die Restmüllschublade

Matthias Horx über E-Gadgets, die immer schneller den Weg in den Ablagekeller finden. Obwohl sie supercool sind.

Alle sind sich einig: Der Markt für „Health Wearables“ wird „demnächst explodieren“. Apple bereitet eine spektakuläre Watch vor, die sogar einen drohenden Herzinfarkt detektieren soll. Die bunten Fitness-Bänder von Jawbone oder Fitbit haben sich in manchen urbanen Kreisen fast schon als Statussymbole durchgesetzt. Und Nike organisiert mit seinen elektronischen
Turnschuhen schon seit Jahren Lauf-Communities. Zeit für einen Mega-Boom also. Oder?

Wer Markt-Trends verstehen will, muss die Kontexte und Knappheiten begreifen, in denen Produkte sich entwickeln. Bei Health-Wearables existieren extrem unterschiedliche Kontexte, wenn es um „Sport/Freizeit“ oder „Gesundheit/Krankheit“ geht. Die Gesundheitsforschung zeigt uns eine zunehmende Spaltung: Ein Teil der Bevölkerung bewegt sich immer weniger, ernährt sich immer ungesünder, ist sich seines Körpers immer weniger bewusst. Diese Gruppe hätte die Wearables bitter nötig, man müsste sie ihnen sogar verschreiben. Aber gerade hier mangelt es an Compliance: Man will gar nicht wissen, was Puls und Blutdruck zu erzählen haben.

Der andere Teil der Bevölkerung tendiert in Richtung auf gesünderes Leben, Sport, Vorbeuge-Verhalten. In dieser Gruppe gibt es sicher viele, für die Wearables ein Spaß sind; „Leistungsunterhaltung“ eben. Aber viele Freizeitsportler empfinden die neuen Geräte auch als, wie man so schön in England sagt, „pain in the bum“ – Komplikationen von natürlichen Vorgängen.

Wer die Zukunft der Technologie verstehen will, sollte auch den Prothese-Effekt kennen. Viele Technologien „entlernen“ natürliche Fähigkeiten, indem sie sie technisch substituieren. Ein Navigationssystem entlernt uns das Kartenlesen. Fast Food entlernt uns den Umgang mit Lebensmitteln. Wearables entfremden uns von unseren natürlichen Körperwahrnehmungen. Das führt irgendwann zu
Frust und dem Gefühl einer fatalen Abhängigkeit. Dass ich heute besser noch die Laufschuhe anziehen sollte, sagt mir mein Körper in einer eigenen Sprache, die ich gut verstehe.

Meine These: „Wearables“ werden wie so viele Super-Innovationen eher in einer (durchaus geräumigen) Nische steckenbleiben. Bei den Quantified-Self-Enthusiasten. Allerdings werden Spezialanwendungen – im Leistungssport, der Kranken-Fürsorge – zu richtig großen Nischen-Märkten anschwellen. Dort lässt sich auf längere Sicht besseres Geld verdienen als im breiten Feld der Gadgets mit ihrer hartnäckigen Drift in Richtung auf die unaufhörlich wachsende elektronische Restmüllschublade, wo sich schon Walkmans, Handys, Elektrowecker, Lautsprecher und inzwischen iPods stapeln.

Veröffentlicht in „horx kolumne“, trend update 05/2014, www.trend-update.de

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