Die Mathematik des Terrors

Wie wahrscheinlich ist es zum Beispiel, in Europa Terror-Opfer zu werden? Das kann man ausrechnen. Das Ergebnis sollte uns zu denken geben.

Airport bombing

© „Barajas terrorist attack“ by David F. Barrero, via Wikimedia Commons

Alle Jahre wieder erscheint uns die Welt als monströse Brutstätte von Gefahren, die sich zu steigern scheinen. Zum Glück gibt es die Wissenschaft der Zukunfts-Probabilistik. Wie wahrscheinlich ist es zum Beispiel, in Europa Terror-Opfer zu werden? Das hängt von zwei Faktoren ab: a) der Möglichkeit, ein Attentat zu begehen und b) der Wahrscheinlichkeit, ein erfolgreicher Terrorist zu werden.

Für eine Karriere als Selbstmord-Attentäter sind tiefe Kindheitsverletzungen erforderlich und eine fundamentale Beleidigung, die die Bereitschaft zu Gewalt-Kompensation erzeugt. Ein Kindheitstrauma hat – die Studien differieren etwas – jeder Zehnte in seinem Leben erlebt. Das alleine sagt aber noch nicht viel, denn Traumata können auch positiv kompensiert werden. Wie viele Künstler, Stars und Politiker haben einen Knacks? Die Resilienzforschung zeigt, dass eine kaputte Kindheit sogar zu einer besonderen psychischen Stabilität führen kann.

Um Killer-Terrorist zu werden, braucht man eine ganz spezifische Charakter-Kombination aus emotionaler Dummheit und taktischer Schläue. Diese Kombination kommt primär bei Psychopathen vor. In allen menschlichen Kulturen liegt die Anzahl dieser schweren Empathiestörung bei rund einem Prozent.

Schließlich braucht man eine Super-Story, einen spezifischen Code aus Rebellion, Autoritarismus und Erlösungsversprechen, wie sie der radikale Dschihadismus im Moment am besten anzubieten hat. Errechnen wir daraus nun den Terroristenfaktor: die Wahrscheinlichkeit, in der Kindheit Selbstwirksamkeits-Katastrophen zu erleben: 10 Prozent; die Wahrscheinlichkeit einer psychopathisch-schlau-dummen Charakterstruktur 1 Prozent; die Wahrscheinlichkeit, zur richtigen Lebensphase auf eine Gruppe von Sinnstiftern zu treffen, die eine „Halluzinatorische-Gewalt-Narration“ zu bieten haben und diesen dann zu folgen: 0,01 Prozent.

Die Wahrscheinlichkeit, in Europa Selbstmord-Terrorist zu werden, liegt deutlich unter 1:100.000. Die Zahl stimmt mit den realen Zahlen überein: Das BKA geht von 800 Gefährdern und „Schläfern“ aus, das Milieu der Salafisten beträgt einige Tausend. Die Zahlen ähneln denen der RAF-Ära in den 70er-Jahren. Damals sprach man von 500 Aktivisten und 10.000 aktiven Sympathisanten.

Das Risiko, in einem Jahr X einem Terroranschlag zum Opfer zu fallen, lag vor den Paris-Attentaten unter eins zu einer Million. Nur Fliegen ist sicherer. Das Risiko ist nach den Anschlägen von Paris genauso hoch, wenn nicht geringer. Selbst in Israel, einem „Homeland“ des Terrors, ist die Gefahr nicht viel höher. Und sie wird nicht steigen, denn es handelt sich um eine humane Konstante.

Das Problem ist allerdings, dass kein Mensch so denken kann. Unser atavistisches Hirn unterliegt der „availability bias“. Weil unsere Vorfahren mit lebensbedrohlichen Gefahren umgehen mussten, fixieren wir uns mental auf die bedrohlichen Bilder. Deshalb hängen wir fest in der Echokammer der Medien, in der unsere Ängste verhandelt werden. Das freut die Typen mit den Kalaschnikows. Wir sehen nicht mehr, wie reich, robust, erfinderisch, widerstandfähig menschliche Gemeinschaften sein können, wie die Empathie am Ende immer doch gewinnt. Erst wenn wir die Augen aufmachen, haben wir den Terror widerlegt.

Erschienen am 26.11.2015 in der Berliner Zeitung

1 comment for “Die Mathematik des Terrors

  1. 02/09/2016 at 22:12

    Ich bedanke mich für den so hervorragenden Vortrag im Rahmen unseres Ringana-Firmenjubiläums! Sie haben.uns die Megatrends und Trends erläutert, durch Statistiken weltweite und geschichtlich relevante Entwicklungen aufgeschlüsselt (Tote durch Krieg, USA -Attentäter /-Opfer, Armutsentwicklung weltweit, etcetc) und mir meine von den Medien eingeimpfte Ängstlichkeit genommen!!! Der schwere Rucksack den ich dort im Saal zurückgelassen habe, vollgepackt mit medialer Panikmache, Fehlinformationen und selbstgebackener, neomütterlicher Angst, war schwer und belastend… Umso freier, optimistischer und informierter bin ich dort wieder hinausspaziert!!!Danke danke danke!!! Cordula Batthyany

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