Das Apple-Zeitalter geht zu Ende

Die Apple Watch ist zweifellos ein elegantes Artefakt. Aber erstmals scheint das Prinzip der radikalen Reduktion umgedreht zu werden. Das Apple-Zeitalter geht allmählich zu Ende.

Ich bin Appellianer. Mein Leben wurde durch diese Firma erhellt, geleitet und erleuchtet. Ja, lieber Steve Jobs im Himmel, so ist das tatsächlich: Apple stand für eine Utopie, einen Mythos, der über weite Strecken Wirklichkeit wurde. Für Computer, die nicht (nur) der Rationalisierung in Unternehmen dienten, sondern auch der Kreativität. Für Technik, die dem menschlichen Maß, dem menschlichen Genius verpflichtet war. Für eine Rebellion der Technologie, in der diese um Befreiung und Eleganz kämpfte. Es war eben etwas ganz anderes, in der großen weiten Welt ein Powerbook auf den Knien zu halten oder eine Plastikdose aus dem Reich von MS-DOS. Was Apple von allen anderen Firmen unterschied, war ein fanatisches Nachdenken über Komplexität. Die größte aller Tugenden: Freiheit durch Weglassen!

Auch für das iPhone, von dem Apple heute so gut lebt wie nie, galt das noch. Die Idee der Apps und die nahtlose Integration in ein Download-System ermöglichte es uns, die vielen proprietären Handys einschließlich ihrer Bedienungsanweisungen einfach in der Schublade zu vergessen. Nokia starb darüber beinahe den schnellen Tod. Man konnte seine ganze Welt, auch die berufliche, in der Tasche tragen. Und man konnte das alles selbst konfigurieren. Und man brauchte endlich keine Uhr mehr!

Image: www.apple.com

Jetzt kommt die Apple Watch, und zum ersten Mal ist das Prinzip der radikalen Reduktion umgedreht. Ein Zusatzgerät, das Aufmerksamkeit, Energie und Zuneigung fordert.

Zweifellos ist die Apple Watch ein elegantes Artefakt. Das können sie, die Zauberer aus Cupertino. Auch hier berichten Testnutzer von einer Befreiung – vom ewigen Blick auf das iPhone, das nun in der Tasche bleiben kann. Nun gut. Schauen wir halt wieder auf die Uhr und nerven damit unsere Mitmenschen . Wo wir doch gerade mühsam gelernt hatten, den Menschen wieder direkt in die Augen zu schauen – und dabei das Handy auszuschalten! Was kann das Gerät, was ein iPhone nicht kann?

Es kann einige unserer Körperfunktionen messen. Das aber ist nur für zwei Menschengruppen auf Dauer wirklich ein Vorteil: ehrgeizige Sportliche, die ihre Werte ständig und ständig verbessern wollen. Und wirklich Kranke, die ihre Körperwerte aus existenziellen Gründen kennen müssen.

In China wird die Uhr trotzdem ein gewaltiger Erfolg. Als Status-Symbol, wie Mercedes, Gucci, oder Cartier. Das reicht schon, um sie zu einem Plus für die Bilanz von Apple zu machen. Aber trotzdem ändert sie die innere Richtung des Unternehmens. Sie ist Produkt dessen, was Evgeny Morozov, der derzeit klügste Kritiker des Digitalen, Solutionismus nennt: „Technologie ist ständig auf der Suche nach Problemen, die sie lösen kann, ohne dass diese einer Lösung bedürfen…“

Das revolutionäre Apple-Zeitalter geht allmählich zu Ende. Auch wenn ich melancholisch werde: gut so. Alle großen Firmen tendieren irgendwann zur Über-Dominanz, und dann mutieren sie in böse Imperien. So, wie die Bayern irgendwann beim Elfmeterschießen kläglich ausrutschen mussten, damit Fußball noch spannend bleibt, muss auch der große Steve Jobs im Himmel sich irgendwann die Haare raufen. Lieber Steve Jobs, ich bleibe Dein Fan!

Erschienen im April 2015 in der Berliner Zeitung

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