Alle sind OMline

Matthias Horx über den Selfness-Mindness-Trend und die Beschleunigung der Entschleunigung

Vor acht Jahren brachte das Zukunftsinstitut eine Studie mit dem Titel „Der Selfness-Trend“ heraus. Wellness, so unsere Vermutung, würde sich von einem missbrauchten Marketing-Begriff zu einer umfassenden Suche nach dem authentischen Selbst weiterentwickeln. Wir nannten diesen Shift zur bewussten Entwicklung des Selbst „Selfness“, und den neuen Fokus auf die geistige Ebene „Mindness“.
Heute ist der Selfness-Mindness-Trend regelrecht explodiert. Das Time-Magazine brachte neulich eine mächtige Titelgeschichte mit dem Slogan „Die Mindness-Revolution“. Die Regale in Buchhandlungen biegen sich in Anleitungen zur Achtsamkeit und Selbst-Kompetenz. Kaum noch jemand macht kein Yoga. Die Kult-Konferenz TED, der wir so unglaublich viele scharfe Ideen und Gedanken verdanken, droht von der Nachfolge-Konferenz Wisdom 2.0 verdrängt zu werden, auf der amerikanische Manager und Unternehmer unentwegt ihre Achtsamkeits-Mantras summen.

Water surface of Lake Khövsgöl
Das Feuilleton wimmelt von Entschleunigungs-Stories mit der immergleichen Botschaft des Selbst-Sinn-Langsamkeits-Findens. Der neue Star am Literaturhimmel, Ole Knausgard, beschreibt sein Gefühlsleben so intensiv wie das Flügelputzen einer Fliege auf dem Fensterbrett. Auch die neuesten Entwicklungen im Kampf gegen das Zu-viele-Digitale lassen sich in diesem Kontext deuten: Offline heißt demnächst wahrscheinlich OMline. Die Entwicklung zum Achtsamkeits-Kult lässt sich besonders gut in der Zeitschriften-Branche studieren, die ihre besten Jahre längst hinter sich zu haben schien. Einziges Gegenbeispiel zum allmählichen Niedergang der Magazine und Illustrierten blieb jahrelang das Magazin Landlust, das mit seiner Millionen-Auflage den etablierten Verlagsmanagern die Tränen in die Augen trieb („Warum können wir so was nicht?“). Vor einigen Jahren kam dann das aus den Niederlanden stammende Flow auf den Markt, ein seltsam mystisch-ornamentales Bastel-Heft mit dem geheimnisvollen Code femininer Alltags-Spiritualität. Der Emotion-Verlag zog mit Slow nach („Glück im Hier und Jetzt“), Happinez wurde das neue Magazin für Glücksforscher und Glückssuchende. Und vor Kurzem sind schon wieder zwei neue Magazine auf den sonst so schwindsüchtigen Printmarkt gekommen: Mindart und Harmony. Darin geht es um Herbstspaziergänge, Briefeschreiben von Hand, den Segen des Veganismus, die Kunst, seinen Geist zu gebrauchen.

Jeder Trend hat einen Gegentrend. Achtsamkeit ist vielleicht der mächtigste aller Anti-Trend-Trends. Gleichzeitig sind aber die meisten der Phänomene, die wir „Trends“ nennen, in Wirklichkeit uralt. Am Ende bleiben wir immer dieselben: Wir suchen das Schnelle, Andere und Aufregende, nur um uns nach dem Kuscheligen, Harmonischen, Gemeinschaftlichen zu sehnen. Früher waren die Kirchen die Spezialisten für Mindness, heute sind es die Life Coaches und Mental Trainer. Die Welt ändert sich nicht. Sie entfaltet sich nur.

Erschienen im März 2015 im TREND UPDATE

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